In-vitro-Fleisch - Weltweit versuchen Wissenschafter, Fleisch aus einzelnen Zellen herzustellen. Aus einer Biopsie wird im Labor ein Stück Gewebe, das dann weiter zum Wachstum angeregt wird. - © Foto: iStock / bonchan

Künstliches Fleisch: Ein Blick auf die Vision von Willem van Eelen

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Willem van Eelens Idee von Laborfleisch, das ohne Tierleid und mit geringeren ökologischen Fußabdrücken produziert wird, nimmt immer mehr Gestalt an. Während die Kostenfrage noch ungelöst ist, birgt diese Innovation das Potenzial für eine nachhaltige Zukunft der Fleischproduktion.

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Willem van Eelens Idee von Laborfleisch, das ohne Tierleid und mit geringeren ökologischen Fußabdrücken produziert wird, nimmt immer mehr Gestalt an. Während die Kostenfrage noch ungelöst ist, birgt diese Innovation das Potenzial für eine nachhaltige Zukunft der Fleischproduktion.

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Kommt eine Vision in die Welt, steht oft eine abenteuerliche Geschichte dahinter. Die Vision von künstlichem Fleisch, das nicht mehr aus den Schlachthöfen, sondern aus dem Labor stammen soll, ist ein Paradebeispiel dafür. Ihre Geschichte beginnt im Zweiten Weltkrieg, in einem japanischen Gefangenenlager in Indonesien, damals noch eine holländische Kolonie. Mit 17 Jahren wurde Willem van Eelen dort interniert. Der niederländische Arztsohn erfuhr frühzeitig, was Hunger bedeutet: Er litt an jahrelanger Mangelernährung, und eigenen Berichten zufolge wäre er fast daran verstorben. Zugleich wurde er Zeuge, wie grausam die Gefängniswärter mit Tieren umgingen.

Eine Vision aus Not und Mitgefühl

Während des indonesischen Unabhängigkeitskriegs, nachdem die Alliierten die Lager befreit hatten, musste van Eelen in die Niederlande übersiedeln. Dort fand er seine zweite Heimat. „Nahrung war für ihn damals das wertvollste Gut“, erinnert sich seine Tochter Ira im Gespräch mit der deutschen Buchautorin Nadine Filko. Er liebte Supermärkte und stand lange vor den Regalen, wo er die zahlreichen Konserven bestaunte. „Im Krieg waren Konserven mit Gold gleichzusetzen, auf einmal gab es all dieses Essen.“ Nur langsam erholte sich Willem van Eelen von den Folgen der Mangelernährung. Er hatte großen Appetit auf Fleisch; zugleich fühlte er eine moralische Verantwortung, sich gegen unnötiges Tierleid zu engagieren.

Das prägte seinen weiteren Lebensweg, denn der ehemalige Kriegsgefangene gilt als Vater einer Vision, die heute mit vielen Hoffnungen verbunden wird: „Clean Meat“, „sauberes Fleisch“, das im Labor hergestellt wird – aber ähnlich schmecken soll wie Fleisch, das von glücklichen Tieren auf der Weide stammt. Diese Idee dämmerte van Eelen, der mittlerweile Psychologie und Medizin studierte, als er 1948 erstmals Experimente mit Zellkulturen beobachten konnte. Diese waren zwar für Patienten mit Verbrennungen gedacht, doch der Niederländer hatte einen Geistesblitz: „Kann man das auch für unser Essen verwenden?“, fragte er sich unvermittelt. „Für meinen Vater stand fest, wenn die Medizin Haut für Brandopfer züchten konnte, dann könnte sie auch ein Steak wachsen lassen“, erzählt Ira van Eelen. Der Gedanke an industriell produziertes Fleisch, für das keine Tiere sterben müssen, sollte ihn Zeit seines Lebens nicht mehr loslassen.

Der Weg zur Laborfleischproduktion

Van Eelen war bereits in seinen 70ern, als er es schaffte, die Finanzierung für ein wissenschaftliches Konsortium sicherzustellen, das binnen weniger Jahre endlich Fortschritte erbrachte: ein fruchtbarer Nährboden für spätere Projekte – darunter der erste Hamburger mit In-vitro-Fleisch, der 2013 in London medienwirksam verkostet wurde. Für den Geschmack („eher fad“) und das Gewicht (140 Gramm) waren die Herstellungskosten freilich recht hoch: 250.000 Euro hatte das Projekt verschlungen, wie der Biomediziner Mark Post von der Universität Maastricht damals berichtete.

Gern hätte Willem Van Eelen erlebt, wie künstliches Fleisch in den Supermarktregalen Einzug hält. Doch 2015 verstarb der Biotech-Pionier 91-jährig in Amsterdam. Die Praxis der biotechnologischen Forschung war zäher als die schöne Theorie von „Retortenfleisch“, die Nadine Filko nun in ihrem Buch „Clean Meat“ (LangenMüller, 2019) beschreibt: Unternehmen wie das niederländische „Mosa Meat“, die israelischen Start-ups „SuperMeat“ und „Aleph Farms“ oder das US-amerikanische „Memphis Meats“ setzen bereits darauf, doch die Gruppe der Visionäre ist noch überschaubar. Sollte dieser Ansatz tatsächlich einmal die Fleischproduktion massenhaft prägen, könnte der kaum bekannte Willem van Eelen zu einer Gründerfigur werden, der im Geschichtsunterricht gebührender Platz einzuräumen wäre. Genauso wie seiner Tochter, heute eine der Aktivistinnen dieser Bewegung. Ira van Eelen ist ebenfalls in der Start-up-Szene aktiv und Beraterin der internationalen „Cellular Agriculture Society“, die als Plattform für sämtliche Ansätze dient, tierische Produkte aus einzelnen Zellen statt aus ganzen Tieren zu gewinnen – nicht nur Fleisch, sondern auch Milch, Eier, Leder, Seide oder Rhinozeros-Horn.

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