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Elektrosmog: Bedrohung oder Umwelthysterie?

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Immer mehr Stromleitungen, immer mehr Elektrogeräte, immer mehr Handys - und daher immer mehr elektromagnetische Felder. Sind diese für den Menschen schädlich? Eine Bilanz der derzeitigen Diskussion.

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Immer mehr Stromleitungen, immer mehr Elektrogeräte, immer mehr Handys - und daher immer mehr elektromagnetische Felder. Sind diese für den Menschen schädlich? Eine Bilanz der derzeitigen Diskussion.

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Wo Strom fließt, entstehen auch elektromagnetische Felder - sowohl im Haushalt als auch im Beruf steigt die Anzahl der eingesetzten elektrischen Geräte. Die Auswirkung von elektromagnetischen Feldern auf die Gesundheit ist allerdings nach wie vor heftig umstritten. „Schon allein der häufig verwendete Begriff Elektrosmog' ist in sich selbst vage und irreführend. Er täuscht Gefährdungen vor, für die es keine Belege gibt”, meinte Univ. Prof. Norbert Leitgeb bei einer Veranstaltung der Oberösterreichischen Umweltakademie zum Thema.

Er ist Leiter der Abteilung für Krankenhaustechnik am Institut für Elektro- und Biomedizinische Technik an der Universität Graz und Leiter der Arbeitsgruppe Grundlagenforschung eines europäischen Netzwerks zur Erforschung der biomedizinischen Effekte elektromagnetischer Felder. „Das Kunstwort Smog kennzeichnet ja hohe Konzentrationen gesundheitsgefährdender Abgase in der Luft.”

Außerdem umfaßt der Begriff Elektrosmog elektromagnetische Vorgänge von der Hochspannungsleitung bis zum Handy, „alle Frequenzen werden undifferenziert in einen Topf geworfen”. Die potentiellen Auswirkungen sind aber völlig unterschiedlich.

Vor allem auch schwedische Studien haben in den achtziger Jahren die Diskussionen um gesundheitliche Auswirkungen von „Elektrosmog” angeheizt - dort wurde auf scheinbare Zusammenhänge mit steigenden Leukämieerkrankungen in der Nähe von Hochspannungsleitungen hingewiesen.

Elektrosmog wurde im Laufe der Jahre für viele Krankheiten (mitverantwortlich gemacht: Angefangen von Schlafstörungen über Depressionen, Panikattacken, Gehirnfunktionsstörungen bis hin zur erhöhten Alzheimer-, Leukämie- und Krebsgefährdung. Entsprechend boomte auch der Markt von Herstellern diverser Schutzvorrichtungen gegen Elektrosmog. Angeboten werden Messungen und „umfassende Beratungen” genauso wie die - oft vom Berater gleich mit angebotene - Installation von speziell isolierten Kabeln, abschirmenden Tapeten oder Netzfreischaltungen.

Bisher 10.000 Studien weltweit zum Thema

Weltweit gibt es inzwischen über 10.000 Studien und Forschungsarbeiten rund um die Auswirkungen elektromagnetischer Felder. Ein klarer Beweis gesundheitlicher Beeinträchtigung ergibt sich für Leitgeb aus diesen nicht. „Werden die von der WHO empfohlenen Grenzwerte - wie etwa in Österreich - eingehalten, sind Beeinträchtigungen nach dem derzeitigen Stand des Wissens auszuschließen.” Studien, die auf Zusammenhänge etwa mit dem Anstieg von Leukämieraten hinweisen, würden zu kurze Zeiträume beobachten.

Keine Gefahr besteht laut einer ak -tuellen heimischen Studie zur Wirkung elektromagnetischer Felder auch beim umstrittenen Bereich des boomenden Mobilfunks: „Der Betrieb von Mobilfunksendestationen stellt keine Gesundheitsgefährdung dar”, betont Univ. Prof. Michael Kunze, Vorstand des Instituts für Sozialmedizin an der Universität Wien. Gesundheitliche Folgen bei der Nutzung von Handys würden sich höchstens durch stärkere Unachtsamkeit beim Telefonieren während des Autofahrens ergeben.

Allerdings liegt auch in diesem Bereich die Betonung der Aussagen auf „nach derzeitigem Stand des Wissens”. Auf EU-Ebene ist vor kurzem ein groß angelegtes Forschungsprojekt angelaufen, das die möglichen Auswirkungen von Handys und Mobilfunkstationen im speziellen bzw. hochfrequenter elektromagnetischer Strahlung im allgemeinen weiter untersuchen soll.

Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei auch der Frage, ob die Krebsrate durch die immer stärker flächendeckende Versorgung mit Mobilfunksendestationen steigen könnte.

Unbestritten ist, daß es Menschen gibt - die Angaben schwanken zwischen ein und fünf Prozent der Bevölkerung —, die auf elektromagnetische Felder sensibler reagieren. Gerade auch bei Babys und Kleinkindern können Befindlichkeitsstörungen auftreten.

Der diplomierte Physiker Michael Karus aus Deutschland verwies bei der Veranstaltung der Umweltakademie auf die möglichen Auswirkungen von Elektrosmog auf das Hormon Melatonin - gerade nächtliche Einwirkungen könnten Phänomene wie Schlafstörungen, ständige Müdigkeit, Leistungsabfall und Schwächung des Immunsystems mit verursachen. Er fordert eine weitere intensive Auseinandersetzung mit den Wirkungen nieder- und hochfrequenter elektromagnetischer Felder und empfahl generell:

■ Netzbetriebene Babyphone im Abstand von etwa einem Mieter vom Kopf des Babys aufstellen.

■ Ein Abstand von ein bis 1,5 Metern sollte im Schlafbereich (auch von Erwachsenen) sowohl bei Radioweckern und ähnlichen Geräten als auch bei Geräten mit Transformatoren (z.B. einige Lampen), die auch im ausgeschalteten Zustand Felder abgeben, eingehalten werden.

■ Besondere Maßnahmen wie vorübergehende Netzfreischaltung oder Abschirmtapeten sind nur bei besonderer Empfindlichkeit und bei speziellen ExpositionsVerhältnissen sinnvoll.

■ Mobiltelefonieren sollte man - besonders in Innenräumen, da hier die Leistung des Handys steigt - auf ein „vernünftiges Maß” reduzieren und im Auto sollte man mit Außenantenne telefonieren oder strahlungsarme Handys bevorzugen.

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