Zarte Hoffnung trotz Elends

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Politisch und wirtschaftlich kommt Bulgarien langsam aus dem Abseits. Die soziale Not ist weiterhin gewaltig.

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Politisch und wirtschaftlich kommt Bulgarien langsam aus dem Abseits. Die soziale Not ist weiterhin gewaltig.

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Drei Dinge habe ich bei uns verboten", erklärt Donka Paprikowa: "man darf nicht über Politik sprechen, nicht über die Unterschiede zwischen den Religionen und nichts Schlechtes über die Menschen reden!" Die 83-jährige weißhaarige, energische Dame ist in Sofia stadtbekannt. Schon seit mehreren Jahren leitet "Oma Donka", wie man sie hier liebevoll nennt, ein Team von Freiwilligen, das sich um die alten Menschen in der Stadt kümmert, die keine Angehörigen haben. Ohne Hilfe könnten viele von ihnen nicht überleben, denn die Rente beträgt im Höchstfall 350 Schilling. "Man hat die Wahl zwischen Verhungern und Erfrieren", heißt es in Bulgarien, denn beides, Essen und Heizung, kann man sich als Rentner nicht leisten.

Die Mitarbeiter vom Hospiz "Miloserdie", zu deutsch "Barmherzigkeit", bringen den alten Menschen täglich warmes Essen und versorgen die Bettlägerigen. Freiwillige Ärzte kümmern sich um die medizinische Betreuung der 40 bis 70 Personen. Es gebe in Sofia rund 2.000 Menschen, die Hilfe bräuchten, aber es fehlt das Geld, um alle zu betreuen, klagt Donka Paprikowa und macht sich auf den Weg zu zwei Frauen in der Nachbarschaft. In dem düsteren Kellerabgang herrscht muffige, feuchte Kälte. Von den Wänden bröckelt der Putz. Eine klapprige Brettertür, dann geht es durch eine Rumpelkammer, in der sich alte Teppiche, Kartons und ausrangierter Hausrat wild übereinander türmen. In einer Ecke ein Kaltwasserhahn und ein altes Waschbecken: Das Badezimmer der 82jährigen Maria Abramova. Daneben liegt das Wohn- und Schlafzimmer der ehemaligen Textilarbeiterin. Es ist gerade dreimal so groß wie ihr Bett. Durch eine Luke dringt das fahle Winterlicht. Ein alter Elektroradiator spendet ein bißchen Wärme. Das ist fast schon Luxus. Zuvor hatte Oma Donka eine schwerkranke Frau besucht, die als Heizung nur den Heizstab eines Elektrogrills hatte, der auf einem Ziegelstein auf dem Boden lag. Lange Jahre hat Maria Abramova umsonst in diesem Keller gewohnt, aber seit zwei Jahren verlangen die neuen Eigentümer 8.000 Lewa pro Monat. Das sind rund 60 Schilling. Knapp 300 Schilling beträgt ihre Rente. Angehörige, die sie unterstützen könnten, hat sie keine.

Sofias Mutter Teresa Vor Weihnachten hat die "Mutter Teresa von Sofia", wie einige Zeitungen Donka Paprikowa nennen, das erste Hospiz Bulgariens eröffnet. Mit Unterstützung aus dem Ausland und von der EU konnte sie eine kleine Wohnung mieten und einrichten. Sechs Betten stehen für Menschen bereit, die in ihren letzten Tagen rund um die Uhr Betreuung brauchen. "Diese Menschen sind Geworfene, sie sind nicht gewünscht in dieser Welt. Wir wollen, daß sie die letzten Tage ihres Lebens in Liebe verbringen", erklärt Oma Donka in breitem Deutsch, das sie seit ihrer Schulzeit an der österreichischen Schule fließend spricht. Vom Staat erwarte sie keine Hilfe, vielmehr wolle sie in den Menschen "die Flamme des Mitgefühls entfachen", damit sie sich selbst helfen.

Eine Einstellung, die von der neuen Regierung voll geteilt wird. Eigenverantwortlichkeit und Privatinitiative sind in allen Bereichen gefordert, besonders in der Wirtschaft. Der Staat kann nur noch die geeigneten Rahmenbedingungen schaffen. Die Regierung unter Ivan Kostov, die seit Mai letzten Jahres im Amt ist, hat für die kurze Zeit schon Erstaunliches geleistet. Die vielen, gutbesuchten Boutiquen, Sport- und Schmuckgeschäfte in Sofias Innenstadt sind ein Indiz dafür, daß sich langsam wieder eine kaufkräftige Schicht im Land bildet.

Wirtschaftswachstum "Man glaubt, man ist in einem anderen Land!". Dem österreichischen Handelsdelegierten in Sofia, Günther Wurzer, stechen besonders die Wirtschaftszahlen ins Auge. "Die Wirtschaft in Bulgarien entwickelt sich schneller, als die Österreicher denken können!" Seit Juli 1997 ist die Währung an die DM gebunden. 1.000 Lewa sind 1 DM. Mußten die Bulgaren vor einem Jahr noch 30 Prozent Zinsen pro Monat zahlen, sind es jetzt gerade noch sechs Prozent im Jahr. Die Inflation sank von 200 auf 0,5 Prozent pro Monat. Festgelegte Preise und massive Zuschüsse an die riesigen, unrentablen Staatsbetriebe gehören weitgehend der Vergangenheit an. Beim Regierungsantritt von Kostov waren erst 18 Prozent der Wirtschaft privatisiert, heute sind es bereits über 40 Prozent. Österreich steht an sechster Stelle der ausländischen Investoren. Mit der entschlossenen Reformpolitik hat Bulgarien auch das Vertrauen der internationalen Finanzinstitutionen gewonnen, die Bulgarien unter die Arme greifen.

Auch politisch kommt Bulgarien langsam aus dem Abseits. "Wir werden zu einem Bahnhof, in dem kein Zug mehr hält", klagte noch im Herbst 1996 verzweifelt eine führende bulgarische Journalistin. Die Sozialistische Partei hatte Bulgarien seit 1995 nicht nur in eine wirtschaftliche Katastrophe geführt, sondern auch in internationale Isolation. Der Katastrophenwinter 1996/97 brachte den Umschwung. Die Armut hatte immer weitere Teile der Gesellschaft erfaßt, Brot und Gas wurden zeitweise zur Mangelware. Schließlich machten die Bulgaren ihrem Unmut in massiven Straßenprotesten Luft, die zum Sturz der Postkommunisten führten. Die bürgerliche Union der Demokratischen Kräfte bemüht sich seitdem, wieder Anschluß an Europa zu finden und hat die politischen Kontakte erfolgreich wiederbelebt. Ein großes Anliegen ist den Bulgaren, die nun endlich zu Europa gehören wollen, die Aufhebung der Visumspflicht.

Obwohl sie tiefe Einschnitte im Sozialsystem vornehmen mußte, genießt die Regierung nach wie vor hohe Popularität, besonders der Staatspräsident, Peter Stojanov. Die Bulgaren schätzen es, daß man ihnen reinen Wein einschenkt und keine falschen Versprechungen mehr macht. Zur Glaubwürdigkeit haben auch die Aktionen gegen die organisierte Kriminalität beigetragen. Bei der Aktion "Mücke" etwa hat man überprüft, ob Luxusautos mit rechtmäßig verdientem und versteuertem Geld erworben wurden. "Dabei hat sich gezeigt, daß viele gar nicht wußten, daß sie Steuern zahlen müssen", berichtet George Stoilov vom Institut für soziale und politische Studien. Die Bevölkerung war begeistert, denn viele der Edelkarossenchauffeure hatten die Verkehrsregeln rücksichtslos mißachtet. Innenminister Bogomil Bonew hatte eine ähnliche Maßnahme auch für Luxusimmobilien angekündigt, doch die Ankündigung wurde nicht umgesetzt. Er sei wohl auf "höhere Interessen" gestoßen, vermutet Stoilov.

Mit "höhere Interessen" sind verschiedene "Gruppierungen" von alten Partei- und Geheimdienstkadern und Kriminellen gemeint, die in der Umbruchsphase die Kontrolle über wichtige Teile des Staates und des Staatsvermögens an sich gerissen haben. Nach Schätzungen sollen drei bis vier Milliarden Dollar ins Ausland verschoben worden sein. Einen offenen Kampf gegen die Gruppierungen will die Regierung nicht riskieren, sondern sie versucht, ihnen legale Gewinnmöglichkeiten anzubieten. So sollen Schutzgelderpresser mit Versicherungen, Sicherheits- und Wachdiensten ihr Geld verdienen.

Medikamentenmangel So gute Perspektiven wie in der Wirtschaft zeigen sich nicht überall. Geradezu dramatisch wirkt sich die leere Staatskasse auf den Gesundheitsbereich aus. "Es ist schrecklich, manchmal muß ich entscheiden, welchem Kind ich Medikamente geben kann und welchem nicht!" Angelina Stojanowa, die Chefärztin der Kinderkrebsklinik von Plovdiv, der zweitgrößten Stadt Bulgariens, kämpft ständig mit dem Mangel. In vielen Krankenhäusern ist es üblich geworden, daß sich die Patienten ihre Medikamente selber kaufen, doch die Medikamente für die Krebstherapie sind für bulgarische Verhältnisse unerschwinglich. Mit Unterstützung der österreichischen Regierung und in Zusammenarbeit mit dem Wiener St. Anna Kinderspital baut das "Hilfswerk Austria" daher eine Partnerschaft mit den drei bulgarischen Kinderkrebskliniken auf. Angelina Stojanowa ist darüber sehr dankbar, denn nichts sei schlimmer, als einem kranken Kind nicht helfen zu können, nur weil das Geld fehlt.

Konto für Donka Paprikowa: Sparbuchkonto lautend auf Donka Paprikowa bei CA-Südstadt Nr. 60 78 12 71 577 Hilfswerk Austria: PSK 90 001 002\

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