Diktaturen leben länger

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Die Frankfurter Rundschau über das Masakker von Hula und die Taktik des Assad-Regimes, große Teile der Bevölkerung in Geiselhaft zu nehmen.

Es sind Bilder wie diese, die sich tief einfressen: ein kleiner Körper, bekleidet mit einem roten Pulli. Er wird von groben Händen angehoben, sodass die Kamera die Kinderleiche ganz erfassen kann. Anschließend fällt er zurück auf den Haufen. 49 Kinder wurden am Freitag im syrischen Dorf Hula ermordet. Diese neueste Gräueltat - mit großer Wahrscheinlichkeit vom Regime in Damaskus verübt - lässt die Syrer, lässt die ganze Region in einen finsteren Schlund schauen. Die zunehmende Gewalt droht die Syrer mitzureißen, und nicht nur sie. Die Menschen haben zunehmend Angst vor der neuen Zeit.

Doch es ist nicht die neue, es ist noch die alte Zeit. Jahrzehntelang wurde die Region von mächtigen Diktatoren beherrscht und erst nach und nach zeigt sich, wie gut verwurzelt diese Regierungen eigentlich waren. Oder sagen wir lieber: immer noch sind!

Gaddafi, Mubarak, Assad, Saleh und Co hatten jeder seinen eigenen Regierungsstil. Manche gingen gnadenlos vor - wie Gaddafi. Andere subtiler - wie Mubarak. Allerdings wäre es falsch, ihre Macht nur auf ihre Brutalität zurückzuführen. Nein, sie herrschten vor allem durch Überzeugung.

Die Logik des Westens

Auch wir im Westen hielten ja zu ihnen, und es waren ganz ähnliche Gründe, aus denen mehr oder weniger große Teile der Bevölkerung ihnen ihre Unterstützung gewährten. Sie machten dem Volk Angst und operierten mit einfacher Logik. "Wenn ich nicht mehr bin, kommen die Islamisten!“, drohte Mubarak. Die Lebensversicherung von Ali Abdullah Saleh im Jemen hieß Al Kaida. Beide päppelten eifrig die Islamisten, sodass sie tatsächlich zu einer Gefahr heranwuchsen. Auf diese Weise entwickelten sich die Islamisten in Ägypten unter Mubarak und seinem Vorgänger Sadat zu einer politischen Kraft.Im Jemen gibt es Hinweise, dass Saleh die Gefahr von Al Kaida und anderen Terrororganisationen nicht nur übertrieb, um sich US-Militärhilfe zu sichern, sondern auch die Entwicklung der Gruppen gefördert hat.

Die Saat der Al Kaida geht auf

Nach ihrem Sturz geht die Saat ihrer Diktatur nun auf: Im Jemen hat Al Kaida ganze Landstriche unter Kontrolle, und der Anschlag in Sanaa von vergangener Woche ist ein weiterer Beweis für das Erstarken der Terrororganisation. Und in noch einem Bereich haben die Diktatoren vorgebaut: Die jahrzehntelange Vernachlässigung der Landbevölkerung wirkt sich jetzt zu ihren Gunsten aus. Plötzlich zählen die Stimmen der ungebildeten, verarmten Bauern. Die Wahlergebnisse der ersten freien Wahlen in Ägypten - bei den Parlamentswahlen gewannen die Islamisten mehr als 70 Prozent, die Präsidentschaftswahl brachte die beiden radikalsten Kandidaten in die zweite Runde - hat so manchem Ägypter die Lust auf mehr Demokratie genommen.

Und Assad? Er wurde von der Geschichte begünstigt. Der Protest gegen ihn entwickelte sich zu einem Aufstand der armen Bauern. Nichts fürchtete die gebildete Mittelschicht mehr. Erst nach und nach wandten sich Gebildete und Privilegierte ab. Deshalb muss Assad nachlegen - und das tut er, indem er der Damaszener Mittelschicht und den Angehörigen der Minderheiten den Rückzug verbaut. Das Massaker von Hula wurde wahrscheinlich von Schlägertruppen verübt, sie sollen zur alawitischen Minderheit gehören. Das ruft nach Rache. Syrien ist dabei, im Bürgerkrieg zu versinken. Geschürt wird er von Assad. 60 Jahre Diktatur in der arabischen Welt sind nicht einfach auszurotten. Die alten Strukturen sind stärker gefestigt als gedacht. Es braucht mehr als einen Frühlingswind, um sie hinwegzufegen.

* Aus Frankfurter Rundschau, 30. Mai 2012

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