Giorgia Meloni: Erstaunlich ruhig - und taktisch klug
Seit einem Jahr ist Giorgia Meloni Ministerpräsidentin von Italien. Ihre Beliebtheitswerte steigen – ein Selbstläufer ist Melonis Erfolg dennoch nicht.
Seit einem Jahr ist Giorgia Meloni Ministerpräsidentin von Italien. Ihre Beliebtheitswerte steigen – ein Selbstläufer ist Melonis Erfolg dennoch nicht.
Ein Jahr sitzt Giorgia Meloni an der Spitze der Regierung Italiens. Ein Jahr, das für italienische Verhältnisse erstaunlich ruhig verlief. Oft hört man: Sie ist eine von uns, sie spricht wie wir, sie versteht uns. Es war nicht etwa der faschistische Hintergrund der Fratelli d’Italia, der die Wählerinnen und Wähler dazu gebracht hat, Meloni zu wählen – für viele war es der Mangel an Alternativen, der Frust mit den bisherigen Regierungsparteien und die damit immer wieder aufkeimende Hoffnung: Dieser oder diese Neue wird es endlich richten, endlich das Wohl des Volkes als Priorität haben, endlich das Land voranbringen.
Am 22. Oktober 2022 wurde Meloni als Ministerpräsidentin vereidigt. Seitdem regiert sie mit ihren Koalitionspartnern, der Lega von Matteo Salvini und der Forza Italia des im Juni gestorbenen Ex-Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi. Als erste Frau in der Geschichte der italienischen Republik. Die 46-Jährige wird oft – vor allem im Ausland – als „Postfaschistin“ bezeichnet. Ihre Partei, die Fratelli d’Italia, ist Nachfolgerin des Movimento Sociale Italiano (MSI), in dem sich nach dem Zweiten Weltkrieg Sympathisanten und Gefolgsleute des Diktators Benito Mussolini versammelten. Und auch heute noch finden sich bei den Brüdern Italiens Nostalgiker, die mit Devotionalien und Sprüchen von einst provozieren.
Den Umfragewerten für Melonis Partei tut das keinen Abbruch. Sie liegen derzeit bei 28,7 Prozent. Bei der Wahl am 25. September 2022 hatten die Fratelli d’Italia rund 26 Prozent der Stimmen erhalten. Giorgia Meloni ist nach Berlusconi seit langem die erste Regierungschefin, die von den Bürgern genau für dieses Amt gewählt wurde. Mario Monti, Enrico Letta, Matteo Renzi, Paolo Gentiloni, Giuseppe Conte oder Mario Draghi – sie alle wurden als Regierungschefs eingesetzt, ohne dass sie sich vorher für das Amt beworben hätten.
Erstaunlich ruhig verhält sich Meloni auf internationaler Bühne, gerade in Brüssel, wo die Sorge vor der „Postfaschistin“ nach der Wahl besondere Blüten trieb. Drei deutsche Europaabgeordnete hatten sich sogar berufen gefühlt, den Chef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, dazu aufzufordern, eine rechte Regierung unter Meloni in Italien zu verhindern. Von ihm soll später im Text noch die Rede sein. Denn ausgerechnet zwischen ihm und der Italienerin hat sich in den vergangenen Monaten eine interessante Nähe entwickelt.
Meloni vermittelt den Anschein, als seien ihr die Vorwürfe über die Vergangenheit ihrer Partei herzlich egal. Der Faschismus sei heute kein Thema mehr, sagt sie betont lapidar und taktisch klug. In Europa ist sie die pragmatische Diplomatin, die erstaunlich umgänglich ist. Vor allem, weil sie auf die Milliarden aus dem EU-Wiederaufbaufonds angewiesen ist. Nur damit kann sie die Wirtschaft Italiens halbwegs am Laufen halten und ihre Wähler daheim beruhigen.
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