Ismail Kadare  - © IMAGO/gezett

Ismail Kadare verstorben: Albaniens literarisches Erbe und Nobelpreis-Würdigkeit

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Ismail Kadare, einer der bedeutendsten Autoren Albaniens, starb am 1. Juli im Alter von 88 Jahren. Seine tiefgründigen Werke reflektieren die wechselvolle Geschichte seines Heimatlandes.

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Ismail Kadare, einer der bedeutendsten Autoren Albaniens, starb am 1. Juli im Alter von 88 Jahren. Seine tiefgründigen Werke reflektieren die wechselvolle Geschichte seines Heimatlandes.

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Bis zuletzt haben seine Bewunderer und wohl auch er selber darauf gehofft, dass er mit dem Nobelpreis ausgezeichnet werde. Literarisch verdient gehabt hätte er ihn zweifellos seit Jahren: Kein Autor seiner Generation hat derart schillernd, vielfältig und tiefgründig den Mythos und die Geschichte eines Landes in einen schier unerschöpflichen Erzählstoff verwandelt, wie es dem 1936 in Gjirokastra geborenen Ismail Kadare mit seiner Heimat Albanien gelungen ist.

Ismail Kadare: Literarisches Erbe und historisches Verständnis

Dabei verstand es Kadare, immer wieder neu den tiefen Geschichtsbrunnen auszuschöpfen, den die wechselvolle Herrschaft im „Land der Skipetaren“ mit historischen Überlieferungen, Chroniken, Legenden, märchenhaften Mythen gefüllt hat. Mit der sicheren Hand des genuinen Erzählers griff er die Stoffe auf, ergründete ihre mythische Dimension und gestaltete sie nicht selten zu Parabeln über die unerkannte Sinnhaftigkeit geschichtlicher Prozesse um. Besonders die von ihm stets kritisch bewertete, fast ein halbes Jahrtausend währende osmanische Herrschaft über Albanien spielte ihm Erzählstoffe zu, aus denen er schreckensstarre Geschichten gewoben, balladeske Erzählungen geknüpft, Legenden vom Balkan eingesponnen und große epische Tapisserien entrollt hat.

Zugleich erkämpfte der Zeitgenosse Kadare in einer Vielzahl von Romanwerken die literarisch herausragende Gestaltung jener Geschichte, die er selbst zwischen italienischer Fremdherrschaft in der Jugend und später jahrzehntelang unter der rigiden Herrschaft des Diktators Enver Hodschas erlebt hat. Das erforderte in einem Land, das fast 60 Jahre lang hermetisch von Ost wie West abgeriegelt war, einen Kurs, der nicht gänzlich ohne Zugeständnisse an die Macht abging. In sein Werk indes, am eindrucksvollsten wohl im Roman Der Palast der Träume, sind die Erfahrungen mit Willkür und Gewalt totalitärer Herrschaft so nachdrücklich wie detailreich eingeschrieben.

Am stärksten verbunden blieb Kadare als Erzähler seiner Heimatstadt Gjirokastra, der er sowohl im (auch verfilmten) Roman „Der General der toten Armee“ als auch in dem historischen Stadtporträt „Chronik in Stein“ ein literarisches Denkmal gesetzt hat. Am 1. Juli starb Ismail Kadare, ein Autor der Weltliteratur, 88-jährig in Albaniens Hauptstadt Tirana.

Dieser Artikel ist im Original unter dem Titel "Er erschloss sein Land der Weltliteratur" am 4. Juli 2024 erschienen.

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