mozaik - © Illustration: Rainer Messerklinge

Nachbar in Not

19451960198020002020

FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Diese Woche geht es um ihren "lieben" Nachbarn.

19451960198020002020

FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Diese Woche geht es um ihren "lieben" Nachbarn.

Werbung
Werbung
Werbung

In unserem Südkärntner Wohnhaus lebt A., ein blasser Glatzkopf, vor dem ich mich als Kind fürchtete. Wenn ich mit Großmutter Fangen spielte, polterte er wie ein Zornesgott mit seinem Besenstiel unter unseren Füßen. Dann bellte seine Stimme aus unserer Gegensprechanlage: „Gehts z’ruck, wo ihr her’kumman seids!“ Jeden Morgen sahen wir A. und seine kleine runde B. beim Spaziergang. Sie muckste nicht, indessen er mit Stock in der Luft gestikulierte und politisierte. Als ich einmal in den Semesterferien nach Hause kam, überfiel mich A. schon im Hof: „Woll’n Sie nit Ihr Land daham aufbauen?“, fragte er mich Studentin, die sich damals jede Nacht knutschend in Wiener Clubs herumtrieb. Als seine geliebte B. vor zwei Jahren starb, suchte A. neue Freunde. Mein frisch pensionierter Papa plappert nun mit ihm im Stiegenhaus. Sie reden über Schrebergärten, die Gesundheit und die zugezogenen Nachbarn. Vor wenigen Tagen brütete ich in meiner Wiener Wohnung über einem haarigen Text, als es über mir zu rumpeln begann. Ich putzte die Brille, fletschte die Zähne und holte den Besen. Der Zornesgott war in mich gefahren. Ich bin das große A.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung