Loch - © Illustration: Rainer Messerklinger

Loch

19451960198020002020

FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Diese Woche geht es um Löcher in der Wand.

19451960198020002020

FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Diese Woche geht es um Löcher in der Wand.

Werbung
Werbung
Werbung

„In meiner Wand gibt es jetzt ein Loch.“ Gebannt lese ich die Zeilen in Paul Brodowskys Prosaband „Milch Holz Katzen“. Gelegentlich fällt er hinaus in diesen Zwischenraum, in dem Fichtenkeimlinge sprießen, in dem es nach Klopfmörtel riecht. Auch in meiner Wand lebt ein Loch. Es ist kleiner als jenes von Brodowsky. Ich stecke meinen Finger hinein und suche vergeblich nach einem Widerstand. Nachts leuchtet das Loch manchmal kurz wie mein Modem auf. Wenn ich die Augen schließe, verströmt es nicht selten verlockende Gerüche.

So dringt aus ihm der Duft von Großvaters knusprigem Spanferkel, das er in seinem Gasthaus für uns Kinder auf Pappteller verteilte. Dann duftet es wieder süßlich nach Großmutters Baklava und dickem Zuckerwasser, das am Gaumen klebt. Oma und Opa schimpfen gelegentlich aus ihrem Zwischenraum heraus: „Eine Frau muss wissen, wie man Pita macht!“ „Kannst du noch immer nicht kochen?“ Ich beruhige die Ahnen mit falschen Versprechungen und gehe schlafen. Nachts träume ich auf Serbokroatisch. Am nächsten Morgen brummt mir der Schädel. Ich gebe „Klopfmörtel“ bei Google ein. Kein Suchergebnis. Das Loch riecht nach Wort.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung