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Zwischen Stauwerk und Matterhorn

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Die Bayreuther „Ring“-Schlacht ist geschlagen. Drei Tage lang war das Schlachtenglück dem mutigen und hochbegabten französischen Regisseur Patrice Chereau hold gewesen, um sich bei der „Götterdämmerung“ abrupt gegen ihn zu wenden. Brillanter Gedanklichkeit stand plötzlich miserable Realisation gegenüber, es gab zum Schluß mehr Rätsel als Einsichten, was nicht gerade der Sinn eines „Ring“-Finales ist. Der Chereau-f eindliche Publikumsteil hatte sich im Laufe der vier Abende völlig und über Gebühr auf den Regisseur eingeschossen, brachte — zum Gebrauch fest entschlossen — die Trillerpfeife mit, und am Tag nach der „Götterdämmerung“ wandelte eine Gruppe von Demonstranten ums Festspielhaus, bewaffnet mit Transparenten: „Verflucht sei dieser Ring!“ — „Opera buffa oder Gesamtkunstwerk“ — „Disneyland auf dem Grünen Hügel“.

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Die Bayreuther „Ring“-Schlacht ist geschlagen. Drei Tage lang war das Schlachtenglück dem mutigen und hochbegabten französischen Regisseur Patrice Chereau hold gewesen, um sich bei der „Götterdämmerung“ abrupt gegen ihn zu wenden. Brillanter Gedanklichkeit stand plötzlich miserable Realisation gegenüber, es gab zum Schluß mehr Rätsel als Einsichten, was nicht gerade der Sinn eines „Ring“-Finales ist. Der Chereau-f eindliche Publikumsteil hatte sich im Laufe der vier Abende völlig und über Gebühr auf den Regisseur eingeschossen, brachte — zum Gebrauch fest entschlossen — die Trillerpfeife mit, und am Tag nach der „Götterdämmerung“ wandelte eine Gruppe von Demonstranten ums Festspielhaus, bewaffnet mit Transparenten: „Verflucht sei dieser Ring!“ — „Opera buffa oder Gesamtkunstwerk“ — „Disneyland auf dem Grünen Hügel“.

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Am letzten Abend wunde deutlich, daß Chereau und sein Team (der Bühnenbildner Richard Peduzzi sowie der Kostümschöpfer Jacques Schmidt) technisch und konzeptionell nicht fertig geworden waren. Es begann schon bei der Nornenszene, in der sich drei großartig singende Damen — Ortrun Wenkel, Dagmar Tra-bert, Hannelore Bode — über die Verwendung einer Wäscheleine nicht einigen konnten. Es wäre nur durch Rückfrage zu ermitteln, ob Walhall absichtlich im Schdußtableau unversehrt blieb oder ob der Bühnentechnik der Dampf ausgegangen ist, den Chereau manieristisch abläßt, sobald es unheimlich oder metaphysisch wird. Unfreiwillige Komik am Rand: Brünnhildes Fackel 2Ühdete nicht, und eine Hilfskraft mußte nachheizen, um zu verhindern, daß Siegfried unverbrannt und Brünnhilde am Leben blieb.

Das liest sich nun so, als sei reiner Unsinn beim Jahrhundert-„Ring“ in Bayreuth herausgekommen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Pannen und Ungereimtheiten wirken deshalb so bedauerlich, weil ein hervorragendes Konzept und geistvolle Regiearbeit ausgerechnet auf der letzten Stufe ausgeglitten sind. Gerade die „Götterdämmerung“ gab unmißverständlich Auskunft über Schlüssigkeit und Zusammenhänge in dieser Inszenierung. Seine Grundidee führt Chereau mit unerbittlicher Konsequenz zu Ende: Der „Ring“ ist für ihn das sich über vier Abende erstreckende Drama von der Manipulation eines Menschen, die schon eingeleitet wird (durch Wotan), wenn er noch nicht einmal gezeugt ist. Damit ist Siegfried negativ vorbelastet. Er kommt wie Hans im Glück durch Wunderkraft zu Wunderdingen. Wotan stallt ihm einen Eisenhammer in Minies Werkstatt. Das Schwert schmiedet sich selbst. Der Großpapa schmuggelt ihm den Waldvogel im Käfig vor die Neidhöhle, verkuppelt ihn an Brüninhilde, bis ihm schließlich der unbedarfte Kraftprotz den Speer zerhaut und davonläuft.

Doch bei den Menschen wird wei-termanipuiliert. Gleichsam als Wilder kommt Siegfried an den Gibichun-genlhof, wird domestiziert und zum lächerlichen Abziehbild jener Gesellschaft gemacht, die ihn für ihre Machtpoflitik mißbraucht. Das wird im zweiten Akt der „Götterdämme-runig“ gnadenlos provokant, erschütternd und grotesk gezeigt. Gunther ist der feine Pinkel im Smoking, des naiven Siegfried imponierendes Vorbild. Da erscheint der Wälsungen-sproß zur Hochzeit mit Gutrune im gleichen Habit, wie ein Dressman: ein Lackaffe, seiner Persönlichkeit beraubt, ein eitel gewordener Niemand.

Dieses Ende wird sorgfältig vorbereitet, beginnend mit dem ersten BSld im „Rheingold“. Was am ersten Tag des „Ring“ passierte, war pralles, üppiges Theater, Regiekunst par excellence. Chereau nimmt Wagner ernst als das große Theatergenie des 19. Jahrhunderts, in dessen Werk alle Mittel der Bühnenkunst zusammengefaßt sind. Der „Ring“ rückt in die Zeit seiner Entstellung, ist angefüllt mit Industriesymbolen und dem Pomp der Gründerjahre. Die Rheinszene spielt an einem Stauwerk, wo sich Dämpfe entwickeln, daß man die Verschmutzung von Hoechst und Leverkusen greifbar vor sich hat. Betonpfeiler, Eisenroste und glatte Fliesen bestimmen das Bild. Oben flanieren die Rheintöchter, die Nütt-chen vom Wehr, als Grisetten mit Cul de Paris. Walhall als Klotz zwischen Stalinbarock und Manhattan-Skyline, Nibelheim als modernes Bergwerk, in „Walküre“ ein Hun-ding als Industrieller mit Betriebsschutztruppe und ein Walkürenfelsen ä la Mauerham: Das mußte die Konservativitas schockieren.

Wer indes unvoreingenommen das Geschehen verfolgte, konstatierte eine Eskalation geistvoller Regie bis zum „Siegfried“ als Höhepunkt der Tetralogie. Für Chereau ist „Siegfried“ eine Komödie im Sinn von Beckett, Pinter oder Dürrenmatt mit makabren und tragischen Elementen neben waltender Komik. Der große Regiewurf gelang hier mit dem ersten Akt, dem Psychodrama des Mime. Der ist einerseits der Buster Keaton des Nibelungenrings, der nach dem ersten Teil der Wissenswette seinen Koffer packt und türmen will. Mime ist zugleich eine Art

Hauslehrer für Siegfried, ein skurriler Sonderling, eine hoffmanneske Figur, urkomisch und tragisch in einem. Im zweiten Akt gibt es einen beweglichen Macbeth-Wald vor der noblen Neidhöhle, aus der wiederum ein etwas asiatischer, unbeweglicher und nicht recht kampffähiger Drachen kommt. Ein Kabinettstück psychologischer Personenführung ist die Schlußszene des dritten Aktes: Siegfried erlebt sein Frühlingserwachen mit einer intensiv mitfühlenden Brühnhilde, wie es im neuen Bayreuth noch nicht zu sehen war.

Ein Glücksfall war in diesem Jahr Bayreuths Sängerensemble. Zum wahren Triumph wurde der heue „Ring“ für Heinz Zednik, der als Loge und Mime mit stupendem. schauspielerischem Talent und vielfältiger stimmlicher Charakterisie-rungsfcunst den zahlreichen Facetten beider Figuren Leben und Überzeugungskraft verlieh. Entdeckungen waren der 31jährige Peter Hofman als Siegmund und der junge Finne Matti Salminen als Fasolt und Hun-ding. — Donald Mclntyre verlieh • den drei Wotan-Partien das Profil eines miachtbesessenen, in seinen Mitteln brutal-skrupellosen und'den-noch von der Pleite gezeichneten Großunternehmers. Eva Randova war eine ebenso schön singende wie aussehende Fricka, Gwyneth Jones steigerte als Brünnhilde ihre Intensität von Abend zu Abend. Zoltän Kelemen als Alberich, Rene Kollo als Jung-Siagfried, Jerker Arvidson als Donner und Gunther, Hannelore Bode als Sieglinde bis hin zu den Rheintöchtern.

Pierre Boulez als „Ring“-Dirigent hielt sich so exakt an das Regiekonzept, daß die musikalische Interpretation, sich auch die Schwächen der Szene auferlegte. Verzicht auf Pathos, Mythos und philosophische Tiefenlotung bedeutete reduzierte Dynamik, Abkehr von der Plastizität der Motive zugunsten harmonischer und rhythmischer Strukturblöcke und aufgelockertem Klang. Höhepunkt auch bei ihm „Siegfried“ im Lustspielton des ersten Akts mit überraschenden Fortepiano-Wenid'ungen, geschmeidigem Streicherklang, plötzlich buffonesk wirkenden Pizzikati bei der Wissenswette und fast paro-distischen Zitaten aus der Motivik der vorausgegangenen Abende.

Dieser neue „Ring“ ist ein Arbeitsprozeß, und der nicht geratene vierte Teil kann nachgeliefert werden, was die Spannung fürs nächste Jahr schürt. Im Fazit hat sich gezeigt, daß sich Experimentierwerkstatt und großes Sängertheater nicht ausschließen und trotz der Einschränkungen das Jahrbundertprojekt als erfrischende und vitale Alternative gerade zu den Pioniertaten Neubayreuths begrüßt werden muß.

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