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Wounded Image

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„Sie erkannten die Wirkung der Bilder bei den Weißen der großen Städte"

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„Sie erkannten die Wirkung der Bilder bei den Weißen der großen Städte"

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Die Ausstellung im Wiener Museum für Völkerkunde heißt „La-kol Wokiksuye": „Erinnerung an dieLakota." Karl-May-Lesern sind diese besser als Sioux bekannt.

Sioux, „Sprecher einer fremden Sprache", wurden sie von den Ojib-wa genannt, deren Gebiet im Westen an ihres grenzte. Sioux bezeichnete aber auch die „sieben Ratsfeuer" der Stämme, zu der die Lakota, Nakota und Dakota sprechenden Indianer gehörten.

Vor 100 Jahren, am 29. Dezember 1890, ereignete sich das Massaker von Wounded Knee. Einem bei der Entwaffnung eines Lakota sich lösenden Flintenschuß folgte die Niedermetzelung Hunderter von der Armee eingeschlossener Lakota, die die weiße Fahne gehißt hatten, zwei Drittel von ihnen Frauen und Kinder, mit Schnellfeuergeschützen.

Die Ausstellung ist eine Fotoausstellung. Originalkopien historischer Plattenaufnahmen sind schwer konservier- und restaurierbar, moderne Vergrößerungen haben einen anderen Charakter. Zehn Jahre brauchte Paul Harbaugh, um die Glasplatten mehrerer „Ameri-can-Frontier-Fotografen" aus den letzten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts nach damaligem Verfahren neu zu kopieren. Das zur Herstellung der Kontaktkopien im Sonnenlicht nötige wenig empfindliche Bromsilber-Papier mußte er selbst beschichten. Es wurde wie einst mit der Platte in einen Rahmen geklemmt und von einer bis 45 Minuten dem Licht ausgesetzt. Eine SpezialVorrichtung ermöglicht, den Fortgang der Bräunung zu verfolgen.

Die Bilder zeigen die untergehende Indianerkultur, Indianer in allen Stadien der „Zivilisierung", sprich: kulturellen Selbstentfremdung und dokumentieren dabei Konventionen und Klischees der Fotografen: Häuptlinge im Federschmuck. Mit Geländern, Säulen, Stöckchen und allen Versatzstük-ken europäischer Porträtfotografie der damaligen Zeit.

Zur Ausstellung erschien ein Buch mit den Bildern von Paul Harbaugh und Texten von Helga Lomosits, die auch die bis 13. Februar zugängliche Ausstellung konzipierte. Das Zusammentreffen mit dem Wounded-Knee-Ge-denktag ist ein Glücksfall.

Männer wie die Häuptlinge Sitting Bull, Rain-in-the-Face, Red Cloud oder American Horse müssen imponierende Persönlichkeiten gewesen sein. Selbstverständlich waren ihnen die ersten Fotografen nicht geheuer, lag doch die Befürchtung nahe, die Weißen könnten den „geraubten Schatten" für üble magische Praktiken benützen. Aber sie merkten nicht nur bald, daß das Fotogra-fiertwerden ungefährlich war. Sie erkannten auch die Wirkung der Häuptlingsbilder bei den Weißen der großen Städte und erfaßten die propagandistische Wirkung des Bildes im Sinne ihrer Interessen.

Metternich hatte sich schon im Vormärz über die amerikanische Indianerpolitik vom österreichischen Konsul in New York berichten lassen - in der inhumanen Behandlung der Eingeborenen, meinte er, verkörpere sich der „demokratische Ungeist".

Auch die Zirkusauftritte in den von William F. Cody („Buffalo Bill") organisierten Wild-West-Shows, in denen Weiße und Indianer ihre Kämpfe effektvoll nachstellten, wurden von den" Indianern keineswegs nur als Einnahmequelle, sondern auch als brauchbares Instrument zur Sympathiewerbung begriffen. 1890, im Jahr von Wounded Knee, und 1906 kam Buffalo Bill nach Wien, 1906 mit 800 Mitwirkenden und 500 Pferden in drei Sonderzügen. Sitting Bull nahm nur an einer Buffalo-Bill-Tournee teil, wobei er sich das Recht ausbedungen hatte, seine Fotos exklusiv zu verkaufen.

40 Jahre lang widersetzte er sich den geforderten Landverkäufen. Doch nach ungezählten gebrochenen Verträgen wurden 1871 die Indianervölker von immerhin wenigstens in der Theorie souveränen Vertragspartnern zu Mündeln der Regierung degradiert, Reservationen durch einseitige Verfügung des Präsidenten installiert und die Lakota, wenn sie in Landverkäufe nicht einwilligen wollten, mit Entzug der Lebensmittelrationen, von denen man sie abhängig gemacht hatte, erpreßt.

Sitting Bull konnte die Lakota einigen, zum Widerstand motivieren und Verbündete gewinnen, aber ihr größter Sieg wurde für sie zum Anfang vom Ende. Am25. Juni 1876 wurden die US-Truppen unter George Armstrong Custer, dem man Präsidentschaftsambitionen nachsagte, am Little Bighorn vernichtend geschlagen, Custer getötet.

Diese Niederlage vergab die Armee nicht. Die Lakota wurden bei den „Agenturen" konzentriert und die „Zivilisierung" wurde forciert. Dazu gehörte Wohnen in Blockhäusern statt Zelten, gewaltsames Abschneiden der langen Männerhaare, Ausmerzung der eigenen Sprache in den Schulen, 1881 Verbot der religiösen Zeremonien und Tänze, 1885 Abschaffung des traditionellen Rechtssystems.

1889 wurden neue Landabtretungen erpreßt und die Lebensmittel-rationen gekürzt. Im Frühjahr 1890 verbreitete sich unter den Hungernden die Nachricht von den Visionen des Paiute Wovoka, gemeinsam mit den Ahnen würden auch die ausgerotteten Büffel zurückkehren. Die Anhänger der Geistertanzbewegung fertigten „kugelfeste" Geistertanzhemden an und träumten tanzend von einer Welt ohne Weiße.

Ein hilfloser Agenturverwalter rief die Armee. Am 15. Dezember wurde Sitting Bull bei einem Versuch, ihn zu verhaften, erschossen. Ein Fluchtversuch zahlreicher Lakota, die fürchteten, man wolle auch sie töten, wurde als Vorbereitung kriegerischer Handlungen interpretiert und vereitelt. Am 29. Dezember kam es zum Gemetzel an den Indianern, die sich ergeben hatten.

Custer war gerächt. Ein First Lieutenant, der unter Custer gekämpft hatte und 26 Soldaten wurden wegen ihrer am Wounded Knee gezeigten „Tapferkeit" dekoriert.

Zwei erschütternde Bilder: Häuptling Red Cloud 1890/91 in europäischen Kleidern, mit einem Blick, als würde er das Weinen verbeißen. Aber er hat das beste aus der Lage gemacht. Auf späteren Fotos von Buffalo Bills Wild West Show ist er immer dabei.

Wounded Knee wird in Amerika bis heute als Wounded Image, verwundetes Ansehen, erlebt. Aber erst 1924 wurden die Indianer Staatsbürger. 1988beschloßdieUN-Men-schenrechtskommission, den völkerrechtlichen Status von Verträgen zwischen Nationalstaaten und eingeborenen Völkern zu untersuchen.

LAKOL WOKIKSUYE - Zur Geschichte der Plains von Little Bighorn bis Wounded Knee. Von Helga Lomosits und Paul Harbaugh. Verlag Jugend und Volk, Wien 1990.180 Seiten, 90 Bilder, Kt, öS 348,-.

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