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Sport als Lebenselixier

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Unsere Gesellschaft entwickelt sich zusehends zur „Trägheitsgesellschaft”. Andererseits hat exzessiver Freizeitsport oft wenig mit Gesundheit zu tun.

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Unsere Gesellschaft entwickelt sich zusehends zur „Trägheitsgesellschaft”. Andererseits hat exzessiver Freizeitsport oft wenig mit Gesundheit zu tun.

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Die Ärzte schlagen Alarm, Krankenversicherungen klagen über exorbitante Kostensteigerungen, Arbeitgeber über zunehmende Krankentage - Österreich scheint eine kranke Nation zu werden. Und die Gründe? Falsche Lebensgewohnheiten und vor allem Mangel an Bewegung.

Den Kindern wird der Bewegungsfreiraum immer mehr eingeschränkt, in den Schulen werden die Turnstunden gekürzt und auch die Vereine bieten kaum mehr attraktive Alternativen an. Kein Wunder, daß das Interesse an Bewegung und insbesonders Sport immer geringer wurde. Dazu kommen die zahlreichen „Alternativen”, wie Discos, Bierstuben, Computerspiele und nicht zuletzt auch unser heiß geliebtes Fernsehen, welches uns sehr bequem und noch dazu zu Hause Sport genießen läßt.

Der Zuseher läßt sich auch vor dem Fernsehapparat gerne vom Rennfieber packen. Er „erlebt” quasi die Aufregung des Wettkampfes mit. Und wenn dann noch ein Oster-reicher siegt, war natürlich auch der Zuseher live dabei - nur leider nicht aktiv. Haltungsschäden, Kreislaufprobleme, vegetative Dystönien (Störung des normalen Spannungs-zustandes der Muskeln, Anm. d. Bed.) sind die logische Folge der Bewegungsarmut. Ergänzt durch Übergewicht, denn „Naschen” und „Knabbern” gehören bekanntlich ja auch zu den Leidenschaften der passiven Sportler.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß der Großteil der betroffenen Personen die Probleme und meist auch deren Ursachen genau kennt - letzlich aber dennoch-nichts dagegen tut. Dabei gibt es jede Menge an guten Vorsätzen, die man in regelmäßigen Abständen hören kann: „Ich muß endlich jetzt etwas tun!”, „So kann es nicht mehr weiter gehen!”, „Nächste Woche beginne ich ein neues Leben”, „Ab sofort wird wieder Sport betrieben!” und so weiter.

Und die Realität? Sie zeigt uns wieder einmal schonungslos, daß gute Vorsätze zwar gut und wichtig sind, ihre Umsetzung aber ein anderes Kapitel darstellt. Denn am Ende siegt leider noch immer meist der innere „Schweinehund”. Er behält dann die Oberhand - und Ausreden sind selbstverständlich auch gleich zur Hand.

Die fehlende Zeit, der große berufliche Streß, die gesellschaftlichen Verpflichtungen und so weiter, sind die beliebtesten Ausreden. Dazu kommen noch Hinweise auf mangelnde Sportausrüstung, fehlende lokale Infrastruktur oder schwierige Finanzierung. Als ob man zum Joggen, Schwimmen oder Gymnastizieren besondere Ausrüstungen benötigen würde.

Spätestens jetzt taucht meist der erste Protestschrei auf: „Man kann doch nicht ohne entsprechende Sportausrüstung trainieren. Was denken sich denn da die anderen Leute!?” Gymnastik ohne tollen Aerobicdress, Leg-Warmers, ohne farblich abgestimmte Aerobicschuhe — einfach undenkbar. Außerdem: ist Aerobic überhaupt noch „in”? Sollte man nicht lieber gleich mit Bungy-Jumping oder Paragliding beginnen? Auch Down-hill-Biking soll ganz toll sein! Schade nur, daß uns die Verkehrsordnung nicht erlaubt, die Formel 1 auf den heimischen Straßen zu kopieren! Seien wir doch ehrlich: Stimmt dies etwa nicht?

Wir haben uns leider schon viel weiter vom gesundheits- und fitneßorientierten Sport entfernt, als wir wahrhaben wollen. Wir suchen die Extreme, die Herausforderung, und vergessen dabei auf die Basiswerte des Sports. Sport und Bewegung sollen Freude und Spaß machen, sie können Lebensqualität und Gesundheit wesentlich verbessern — soferne sie vernünftig und richtig betrieben werden.

„Intelligente Fitness”

Ein wichtiger Auftrag, ja fast eine Verpflichtung ist es daher für alle Interessengruppen, unsere bewegungsarme beziehungsweise bewegungsgestörte Gesellschaft aus der Schein weit des passiven Sportkonsumenten zu den Wurzeln eines aktiven Lebens zurückzuführen. Ethisch-moralische Aspekte und nicht zuletzt die Bedeutung der psycho-physischen Leistungsfähigkeit müssen wieder mehr in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt werden. Bewegung ist „in” sollte nicht nur ein Lippenbekenntnis sein.

Es ist unsere Pflicht, Personen aller Altersgruppen über richtige und sinnvolle sportliche Betätigung aufzuklären, ihnen entsprechende Möglichkeiten in und außerhalb von Vereinen anzubieten und nicht zuletzt sie auch zur Selbstständigkeit zu erziehen. „Intelligente Fitneß” ist ein Begriff, der dieser Forderung sehr nahe kommt. Der Mensch muß wissen, was er und vor allem warum er etwas tun soll. Er muß lernen, mit seinem Körper maßvoll umzugehen. Weniger, aber richtig ist viel mehr wert als viel, aber falsch.

Es ist daher auch ein dringender Appell an die Medien zu richten, aktiv zum Umdenken beizutragen. Solange der Konsument nur mit Extremen, Höchstleistungen und letztlich auch Skandalen konfrontiert wird, solange wird er sich auch nicht an die eigentliche Aufgabe und Bedeutung der Bewegung und des Sports erinnern. Gesundheitsförderung und Persönlichkeitsförderung.

Wir müssen aufklären, auffordern und helfen, denn „aller Anfang ist schwer”.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische und Sportwissenschaftliche Beratung (JMSB) in Wien.

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