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Sozialkritische Belletristik von Frauen

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Der Ruf nach gesellschaftskritischem Engagement, auch in der Belletristik, hat dem Roman und teilweise der Lyrik unserer Tage ein neues Gesicht gegeben. Ich erinnere nur an Alfred Andersch' Gedicht „Artikel 3 (3)“, zu den Berufsverboten in der BRD, das kürzlich heiße Diskussionen pro und contra auslöste. Die Namen all der Romanschriftsteller zu nennen, die sich mit Krankheitssymptomen unserer Gesellschaft auseinandersetzen, ist hier nicht möglich. Es sind auch Frauen unter ihnen. Wenn die männlichen Romanciers bei ihrem sozialkritischen Engagement meistens von allgemeinen Zeitproblemen ausgehen, um dann deren Wirkungen auf Einzelschicksale ins Blickfeld zu rücken, wählen die Schriftstellerinnen, wenn ich das richtig sehe, den umgekehrten Weg. Sie schildern im Vordergrund individuelle Erfahrungen und Entwicklungen, hinter denen dann, mehr oder weniger deutlich, als Ursache gesellschaftliche Zwänge transparent werden. Sicher eine sehr weibliche Betrachtungsweise. Man sollte hinter ihr jedoch nicht Befangenheit in traditionellen Rollen vermuten, sondern besser einen fruchtbaren Emanzipationsversuch, der darin besteht, daß hier der Verflechtung von persönlichen und gesellschaftlichen Bedingtheiten nachgegangen wird.

• Hier zwei Beispiele. Angelika Mechtel, sehr zu Unrecht in Österreich noch immer wenig bekannt, setzt sich in ihrem neuen Erzählband „Die Träume der Füchsin“ vorwiegend mit Existenzkrisen von Frauen auseinander. Grenzsituationen zumeist, die zum Ausbruch aus falschen Abhängigkeiten führen (Titelgeschichte) oder in resignierte Anpassung münden („Katrin“). Manchmal auch in völlige Aufgabe, die mit Selbstmord endet („Das Puppengesicht“), oder in Kriminalität. In „Marthas kleine Reise“ wird entwik-kelt, wie ausgelieferte Hilflosigkeit eine Frau zur Mörderin ihres in der Trunkenheit gewalttätigen Mannes “werden läßt. Makaber die kurze Einblendung der Tat in das einsame Leben der Frau nach Abbüßung der Strafe. Ihre monatliche kleine Reise gilt dem Besuch des Grabes dessen, “ den sie umgebracht hat. Sehnsüchtig erhofft sie auf dem Weg zum Friedhof die Begegnung mit Menschen, mit denen sie ein paar Worte wechseln oder denen sie helfen kann.

Isolierung vergiftet auch das Leben eines Mannes, der, Opfer einer Fernsehfahndung, grundlos mehrerer Morde beschuldigt wird und dadurch seine Familie verliert („Der Jagdschein“). In der Titelgeschichte wird eine verfehlte Partnerbeziehung geschildert, welche die Selbst-findung der Frau in Gang bringt und damit später neue Möglichkeiten der Wiederbegegnung, der nun der Mann nicht mehr gewachsen ist. In “zwei utopischen Schreckensvisionen beschwört die Autorin die absolute Beherrschung des Menschen herauf. „Die Waschanlage“ läßt keinen Ausweg offen für die in die Räder der Verfolgung geratenen, nicht zweckdienlich funktionierenden Opfer eines totalitären Regimes. In „Du hast in deinen Träumen nachgeforscht“ durchbricht das halbe Kind Jal den so vollkommenen Apparat der Manipulierung und Beherrschung der Menschen. Der Junge ist ; nicht registriert und, unfaßbarer l noch, er reagiert nicht auf die üblichen Verhörmethoden. Er infiziert /sogar mit seiner Freiheit einen Wächter, der nun seinerseits verfolgt wird. „Ich habe keine Angst mehr“, sagt Bolar während seiner „Behandlung“. Hier deutet sich ein Hoffnungsschimmer an, daß der Mensch auch aus der totalen Beherrschung auszubrechen vermag.

Angelika Mechtel ist eine faszinierende Erzählerin, sachlich-kühl in der Entwicklung ihrer jeweiligen Problematik, aber sie verfügt auch über dichterische Einbildungskraft, die hinter den realen Bezügen Tiefenschichten menschlichen Daseins sichtbar macht. Die Autorin, die 1943 in Dresden geboren wurde und jetzt mit ihrer Familie in der Nähe von

München lebt, hat Gedichte, Romane und Erzählungen veröffentlicht, die ihr verschiedene Literaturpreise einbrachten. In allen ihren Arbeiten geht es ihr um gesellschaftliches Engagement mit dem Ziel der Humanisierung unserer Welt. Keine bequeme, aber eine notwendige Stimme der Zeitliteratur.

Ingeborg Drewitz' Roman „Wer verteidigt Katrin Lambert?“ ist' die Geschichte einer Sozialfürsorgerin, die sich besonders gefährdeter Jugendlicher annimmt. Selbst ein Opfer des Dritten Reiches — ihre Eltern wurden ermordet —, kennt sie aus eigener Erfahrung die Hilflosigkeit junger Außenseiter der Gesellschaft. Sie hilft vielen für den Augenblick, kann ihnen aber keine festen Daseinsgrundlagen geben. Da sind einmal die Generationsunterschiede. Katrins eigener Sohn sagt zu der Rundfunkreporterin, einer Schulkollegin seiner Mutter, die deren Geschichte nach ihrem Tod zu recherchieren versucht: „Was Sie, was Mama, was Ihre Generation erlebt hat, ist für uns so gleichgültig wie Hannibals Feldzüge. Und was wir hinter uns haben, ist für die Achtzehnjährigen ebenso gleichgültig. Von allem bleibt nur eine entsetzliche Langeweile...“

Eine Anspielung auf Katrins Bemühungen, nationalsozialistische Relikte ihrer Generation ausräumen zu helfen. Aber: „Der Schoß „ist frucht-

bar noch, aus dem das kroch...“ Auch für Katrins junge Schützlinge ein uninteressantes Thema; sie haben andere Sorgen, die zu besänftigen oder gar zu lösen auch dem verständnisvollen Erwachsenen selten gelingt.

Es wird die letzte Party in Katrins Haus geschildert, bei der die weltanschaulichen Meinungsverschiedenheiten der Anwesenden unversöhnlich aufeinanderprallen. Katrin weiß sich ganz allein. Die Erzählerin sinniert: „Am nächsten Morgen ein langer Arbeitstag vor ihr. Immer welche, die Hilfe brauchen. Helfen, helfen. Wie lange hält man das aus ohne Egoismus?“

Katrin hält es nicht mehr aus. Auf dem Weg in ihr Amt fährt sie an den Grunewaldsee und geht über das Eis. „Trägt es mich noch?“, will sie wissen. Aber es bricht. Selbstmord oder Unfall? Die ungeklärt bleibende Frage ist nicht entscheidend. Es geht bei Katrin Lambert um einen Menschen, der seine Existenz eingesetzt hat, anderen zu helfen, und mit der — scheinbaren? — Vergeblichkeit des Einsatzes nicht fertigwerden kann. Auch sie ist ein Opfer gesellschaftlicher Zustände, ebenso wie ihre Schützlinge. So meint es jedenfalls Ingeborg Drewitz. Sie, wie Angelika Mechtel, möchte mit ihren Veröffentlichungen Veränderungen in Gang bringen, im einzelnen und in unserer Umwelt.

DIE TRÄUME DER FÜCHSIN. Erzählung von Angelika Mechtel. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, 199 Seiten, öS 206.70.

WER VERTEIDIGT KATRIN LAMBERT? Roman von Ingeborg Drewitz. Verlag Werner Gebühr, Stuttgart, 175 Seiten, öS 169.40.

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