Radiokonsum hilft Brigitte Quint gegen ihre Schlaflosigkeit. - © Foto: Pixabay / fancycrave1

Dieses ewige Getue

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Brigitte Quint hat eine Ärztin getroffen, die einen unredlichen Pakt mit dem AMS geschmiedet zu haben scheint. Wie kann man einer Journalistin raten, keine Nachrichten mehr zu konsumieren? Über Achtsamkeit, Abgrenzung und den Zeitgeist, der der Autorin auf die Nerven geht.

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Brigitte Quint hat eine Ärztin getroffen, die einen unredlichen Pakt mit dem AMS geschmiedet zu haben scheint. Wie kann man einer Journalistin raten, keine Nachrichten mehr zu konsumieren? Über Achtsamkeit, Abgrenzung und den Zeitgeist, der der Autorin auf die Nerven geht.

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Ich schreibe an dieser Stelle inflationär über meine senile Bettflucht (wenn es Ihnen zu viel wird, schicken Sie mir unbedingt einen Brandbrief). Wobei von Flucht eigentlich keine Rede ist. Ich bleibe liegen und höre ab 4.30 Uhr Deutschlandfunk. Und was man da alles so hört: Putin trifft Kim Jong-un; Kadyrow hält sich einen Kinderharem; die Huthis wüten im Roten Meer; hunderte Hitzetote.

Ja, ich weiß, es gibt passendere Mittel, um gegen die Schlaflosigkeit anzukämpfen. Aber irgendwann hätte ich mich sowieso mit diesen Vorfällen befassen müssen. Eine Tatsache, die eine Chichi-Medizinerin komplett anders sieht. Weil ich seit Monaten ein paar Wehwehchen mit mir herumschleppe, hat mich eine meiner Freundinnen genötigt, „die beste Ärztin der Welt“ aufzusuchen. Ich hatte mir eingebildet, die Dame empfiehlt mir irgendeine Art von Ernährungsumstellung (Hirse und Mariendisteltee statt Pasta und Wein), schreibt mir Globuli auf oder sticht mir Akupunkturnadeln hinter die Ohren.

Stattdessen zeigte sie mir Studien. Darin war untersucht worden, wie Nachrichtensendungen die menschliche Physis beeinflussen: negativ. Daher wäre die einzige wirksame Kur, so die Ärztin, meinen Nachrichtenkonsum zu reduzieren.

Ich persönlich glaube ja, sie hat einen Pakt mit dem AMS geschmiedet. Kommt ein Bäcker, rät sie ihm, sich vom Mehl fernzuhalten. Lehrerinnen verbietet sie den Umgang mit Schülern. Einem Gärtner gibt sie den Tipp, sich tagsüber auf versiegelten Flächen aufzuhalten. Ein Pilot soll wegrennen, sobald er in die Nähe eines Flugzeuges kommt.

Ja, ich bin zynisch. Aber dieses ewige Getue um Achtsamkeit und Abgrenzung nervt. Ich halte das für ein Erste-Welt-Problem. Den Mediziner will ich sehen, der jemandem in Ouagadougou oder Sanaa rät, sich arbeitsmäßig zurückzunehmen, Abstand zu suchen von dem, was ihn und seine Familie ernährt. Für 150 Euro hätte ich gerne eine Info darüber erhalten, wie ich noch sehr lange meiner beruflichen Leidenschaft nachgehen kann und dabei gesund bleibe. Aber das widerspricht dem Zeitgeist.

Also gut, dann widerspreche ich ihm auch. Absichtlich. Heute gehe ich mit der Freundin von oben Pasta essen und Wein trinken. Wir haben uns für 17.30 Uhr verabredet – damit ich zeitig im Bett bin und genügend schlafe bis 4.30 Uhr. Stichwort Deutschlandfunk.

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