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Mikroelektronik als „Jobkiller“ ?

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Erhöht der Einsatz von Mikroprozessoren die Arbeitslosenrate? Ist diese Technologie ein „Jobkiller“? Eine Studie des Wis- senschaftsministeriums ging jüngst dieser Frage nach.

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Erhöht der Einsatz von Mikroprozessoren die Arbeitslosenrate? Ist diese Technologie ein „Jobkiller“? Eine Studie des Wis- senschaftsministeriums ging jüngst dieser Frage nach.

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Die technische Zukunft unserer Arbeitswelt hat bereits begonnen. Die Revolution der Mikroprozessoren hat beinahe alle Bereiche der Industrie, Wirtschaft und Verwaltung bis hin zur persönlichen Sphäre jedes einzelnen erfaßt und verändert in stetig steigendem Ausmaß das Berufsleben und die Freizeitgestaltung. Allein im Jahr 1978 wurden in der westlichen Welt Bauelemente im Wert von etwa 265 Milliarden Schilling produziert.

Angesichts der lawinenartigen Entwicklung dieser neuen Schlüsseltechnologie beginnen Wissenschafter in aller Welt, sich mit den gravierenden Aus- und Rückwirkungen ökonomischer, sozialer und menschlicher Natur auseinanderzusetzen.

Der überwiegende Teil der Mikroelektronik (ME), nämlich rund 65 Prozent, wird in den USA

entwickelt und produziert. Das „Herz“ der Zukunftstechnologie befindet sich in Silicon Valley in Houston im amerikanischen Bundesstaat Texas. 20 Prozent der Weltproduktion von integrierten Schaltungen entfallen auf Japan, der Rest auf Europa.

Was die Anwendungsintensität von Mikroprozessoren in Europa betrifft, liegen Italien, Großbritannien, die Buridesrepublik Deutschland und Dänemark an der Spitze. Finnland, Frankreich und Österreich rangieren im unteren Mittelfeld.

Die rasante Entwicklung der Mikroprozessortechnik wird an folgendem Vergleich deutlich. Waren Anfang der sechziger Jahre auf einem Chip vier Transistoren untergebracht, so enthält heute eines der Standardprodukte

64.0 Transistoren. Die Speicherkapazität der Bauelemente wurde in den sechziger Jahren alle zwei Jahre verdoppelt.

In Österreich lag 1979 der Produktionswert der Bauelemente bei etwa sechs Milliarden Schilling. Mikroelektronik wird von Siemens Villach produziert, ein Werk der VOEST ist im Aufbau. Allerdings fehlt in der Alpenrepublik die eigentliche Mikroelektronik, also die integrierten Halbleiterschaltungen, da der heimische Markt für deren Produktion zu klein ist.

Für 1979 auf rund 340 Millionen Schilling geschätzt, wären das nur 0,4 Prozent des Marktes der westlichen Welt. Chancen für die heimische Industrie lägen nach Ansicht von Fachleuten bei speziellen Anwendungen und „Marktnischen“ wie beispielsweise der Sensortechnik, der F ahrzeugelek- tronik und auf dem medizinischen Sektor (Implantate, Prothetik).

Zur Verbreitung der Mikroelektronik in fertigen Produkten ergab eine Befragung, daß von 140 der größten österreichischen Firmen 37 in zumindest einem Produkt Mikroprozessoren verwenden. Rund ein Drittel von 304 erfaßten Firmen setzt Mikroelektronik im Produktionsprozeß ein. Besonders hoch ist der Anteil auf dem Bürosektor, wo nur mehr 15 bis 20 Prozent der befragten Unternehmen ohne EDV arbeiten. In der Industrie rechnet man mit einer Zuwachsrate von 20 Prozent pro Jahr, sodaß für 1985 8.500 Bildschirmgeräte im Industrieeinsatz prognostiziert werden.

Diese Zahlen stammen aus der Studie „Anwendung, Verbreitung und Auswirkungen der Mikroelektronik in Österreich“, die im Auftrag des Wissenschaftsmini-- steriums gemeinsam vom österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) und dem Institut für sozioökonomi- sche Entwicklungsforschung der österreichischen Akademie der Wissenschaften durchgeführt wurde.

Insgesamt wurden 26 Branchen untersucht. Aufgrund der Entwicklung in der Vergangenheit erstellten die Wissenschafter Szenarios unter den verschiedenen Aspekten von Arbeitszeitreduzierung, potentiellem Wirtschaftswachstum und Einsatz der Mikroelektronik.

Abgesehen von der Mikroelektronik rechnen Fachleute damit, daß sich von 1985 bis 1988 die Pro

blematik der Arbeitsplätze verschärfen wird, da laut demographischer Entwicklung mehr Leute in den Arbeitsmarkt eintreten als ihn verlassen werden. Nach Schätzungen sollen dann 250.000 neue Arbeitsplätze erforderlich sein.

Wird auf dein Einsatz von Mikroelektronik verzichtet, so errechnten die Wissenschafter Renė Dell’mour, Peter Fleissner, Peter Paul Sint (Institut für sozio- ökonomische Entwicklungsfor- — schung) — unter der Annahme, eines Rückganges der Arbeitszeit wie in den letzten zehn Jahren und eines Wirtschaftswachstums von’ etwa drei Prozent für 1985 100.000’ Arbeitslose, für 1990 30.000. Hält sich die Arbeitszeit auf dem Niveau von 1980, so liegen die Zahlen für 1985 bei 200.000, für 1990 bei

220.0 Arbeitslosen. Bei kürzerer Arbeitszeit reduziert sich das Ausmaß der Reallohnerhöhung, es läge demnach bei zwei Prozent jährlich (gegenüber drei Prozent bei hoher Arbeitszeit).

Wird dagegen auf Mikroelektronik in großem Ausmaß und eher rasch umgestellt, sodaß 1985 20 Prozent und 1990 bereits ein Drittel aller denkbaren Arbeitsplätze mit Mikroprozessoren ausgerüstet wären, gäbe es bei höhe

ren Arbeitszeiten 1985 eine Spitze von 350.000 Arbeitslosen. Für diese Variante nahmen die Wissenschaftler ein Produktivitäts- und Wirtschaftswachstum von fast 4 Prozent an.

Die Investitionskosten für die Umrüstung lägen bei 20 Milliarden Schilling pro Jahr; wobei die Kosten für einen mit Mikroelektronik ausgestatteten Arbeitsplatz im Büro mit 100.000 Schilling, in der Industrie mit einer Million veranschlagt werden. Die erforderlichen Bauelemente und Geräte würden dabei zur Gänze importiert werden müssen.

Wie die Studie aber beweist, muß Österreich künftig nicht auf Schreibautomaten „papierlose“ Briefe, Industrieroboter und ähnliches mehr verzichten. Die Lösung liegt nach Ansicht der Experten im „goldenen Mittelweg“. Wird die Umrüstung nur mäßig durchgeführt (1985: 15 Prozent, 1990: 25 Prozent aller denkbaren Arbeitsplätze mit ME) und die Arbeitszeit gekürzt, so wäre 1985 mit 100.000 Arbeitslosen, 1990 mit

80.0 Arbeitslosen zu rechnen.

„Das heißt, daß eine Umstellung auf die ,Zukunftstechnolo- gie’ unter diesen Bedingungen die Arbeitslosenzahl gegenüber einer mikroprozessor-losen Entwicklung jährlich nur um ein halbes Prozent erhöhen würde“, zieht Renė Dell’mour die Bilanz der Studie. Begleitende Forderungen der Wissenschafter an Industrie und Wirtschaft: ME-Geräte sollten möglichst im Inland produziert, die Arbeitszeit nur maßvoll verkürzt werden, und die Einführung der Mikroelektronik müßte unter sozialer Kontrolle geschehen.

Besonderes Augenmerk haben die Verfasser der Studie aber neben der Entwicklung der Arbeitslosenzahlen auch den sozialen Auswirkungen ‘zugewandt. Durch den Einsatz von Mikroelektronik verändert sich der Arbeitsprozeß. Gewisse Bereiche werden automatisiert, verbleibende Resttätigkeiten aber bieten nur letzt- klassige Arbeitsplätze.

Durch die „Vernetzung“ des Produktionsprozesses wird die Arbeit abstrakter und unüberschaubar. Hier kommen wesentliche Aufgaben auf die Betriebsorganisation zu. Aber auch das Qualifikationsniveau wird, so prognostizieren die Wissenschafter, allgemein steigen, die Umrüstung auf Mikroelektronik zu einem Qualifikationsgefälle im Betrieb selbst führen.

Um diesem Problem zu begegnen, führen schon jetzt viele Unternehmen Umschulungen durch. Nur betrifft die Selektion derzeit jüngere Arbeitskräfte, sodaß nur eine kleine Gruppe den Qualifikationssprung mitmacht. Eine staatliche Förderung der Umschulungen sollte hier einen breiteren Zugang ermöglichen. Die Umschulung selbst sollte weniger spezialisiertes als allgemeineres Wissen vermitteln. Uber die Auswirkungen innerhalb des Betriebes hinaus erwarten die Fachleute, daß sich durch die Einführung der ME die gesamte Branchenstruktur der Wirtschaft ändert.

In der teils sehr heftigen Diskussion um die Mikroelektronik und ihre zu erwartenden Implikationen, die zwischen utopistisch- einseitiger Verteufelung und dem Optimismus blind-euphorischer Fortschrittsgläubigkeit polarisiert, wurde hier nun erstmals eine eindeutige Stellungnahme getroffen. Die Wissenschafter erstellten für Österreich Prognosen und geben dabei der neuen Technologie unter bestimmten Bedingungen „grünes Licht“. Ob es allerdings tatsächlich eine Revolution ohne Opfer sein wird, bleibt abzuwarten.

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