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Marx oder Mohammed ?

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Innerhalb weniger Tage flackerten an drei Punkten dfes mohammedanischen Kulturkreises die Flammen des ohnedies stets schwelenden Bruderkrieges plötzlich wieder auf. In Marokko wurden die Putschisten an die Wand gestellt. In Jordanien leben sie mit der Waffe in der Hand weiter oder suchen ihr Heil in einer überstürzten Flucht in die Hände des Erzfeindes. Südlich des arabischen Drehkreuzes Ägypten, im Sudan, herrscht zwar wieder der alte Regierungschef, aber jedenfalls mit einem erschütterten und wackeligen Regime.

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Innerhalb weniger Tage flackerten an drei Punkten dfes mohammedanischen Kulturkreises die Flammen des ohnedies stets schwelenden Bruderkrieges plötzlich wieder auf. In Marokko wurden die Putschisten an die Wand gestellt. In Jordanien leben sie mit der Waffe in der Hand weiter oder suchen ihr Heil in einer überstürzten Flucht in die Hände des Erzfeindes. Südlich des arabischen Drehkreuzes Ägypten, im Sudan, herrscht zwar wieder der alte Regierungschef, aber jedenfalls mit einem erschütterten und wackeligen Regime.

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Die Instabilität des arabischen Raumes scheint ihren Höhepunkt noch nicht erreicht zu haben. Das Schaukeln zwischen Ost und West gleicht einem Balanceakt, dessen Effekt heute oft von innenpolitischen Problemen und sozio-ökono- mischen Brandherden ablenkt. Die Fata Morgana ist perfekt.

Die Funktion der Weißen im schlanken Schatten der Minarette hat sich gewandelt. Um heute zur Gefolgschaft des Propheten gezählt zu werden, bedarf es nicht der Kenntnis der arabischen Sprache. Nicht der Beschneidung. Nicht der peinlich genauen Beobachtung der rituellen Vorschriften. Es bedarf nicht des ,J?raktizierens“ des Glau bens. Nicht des „salät“, des Gebets, Nicht des „zak&t", des gesetzlichen Almosens. Nicht des Ramadanfastens und der „hajj“, der Wallfahrt nach Mekka.

Die Zugehörigkeit zum Islam erwächst aus dem Willen, mit Moslems Zusammenleben zu wollen und die Sendung Mohammeds nicht öffentlich zu verneinen. Der Islam lebt in der Gemeinschaft, nicht im expliziten Bekenntnis zu einem Heilsweg für den Menschen. Der Islam bekundet sich im praktischen Leben, im Recht, in der Philosophie. Er ist gelebte Kultur und läßt als solche enormen Spielraum für marxistisches Gedankengut, dessen Zusammenlebenwollen gleichsam „be-

schnitten“ und absorbiert wird. Die Ideologie von der einen Klasse — zumal in einer zum Teil noch heute feudalistisch strukturierten Gesellschaft — findet fruchtbaren Nährboden im überschwenglichen Drang nach Gemeinschaftsleben. Der Kollektivausdruck des islamischen Lebens öffnet den technischen Beratern aus dem Osten Tür und Tor.

Der traditionalistische Moslem lebt oft nur noch hinter den Vorhängen des Beduinenzeltes. Dort hütet er die totale und kosmische Erklärung der Welt, die ihm seine Väter übergeben haben. Die materialistischen und gottlosen Errungenschaften des modernen Lebens benutzt er zwar, übernimmt aber nicht deren Prinzipien. Der wandernde Wüstensand greift immer mehr nach diesem im Alten verwurzelten Jünger Mohammeds.

Anders der reformfreudige Moslem. Er macht sich ernstliche Gedanken um die Koordination der islamischen Werte und der weltlichen Gegebenheiten des 20. Jahrhunderts. Auch auf die Gefahr hin, eine ganz neue Koran-Exegese vorzutragen. Hier streckt die theologische Reform der muselmanischen Gemeinde ihre Fühler nach der modernen technischen Gesellschaft aus.

Auf dem Weg durch die islamische Welt wird man jedoch stets mit einem „eigenen Sozialismus" konfrontiert, der sich gewissen Aspekten des Gemeinschaftssystems anpaßt, der den Völkern Afrikas und Asiens angeboren scheint. Bern arabischen oder mohammedanischen Sozialismus steht der „Solidarismus“ Pate, der seine Wurzeln wieder in der Lehre des Propheten hat. Oft spricht man auch von einem ägyp tischen, tunesischen, algerischen oder sudanesischen Sozialismus, der allein den humanistischen Gedanken in den Vordergrund spiele und auf wirtschaftlichem Gebiet die sozialistischen Methoden anwendet.

Der „islamische Sinn“ dieses neuen Milieus versucht die Symbiose von Abendland und Morgenland. Als Sozialist oder Marxist steht der Moslem dieser Koexistenz aber mit gemischten Gefühlen gegenüber, wett die überkommenen Werte oft schwer mit der von ihm gelebten Gesellschaft kongruieren können. Dieser Zwiespalt flammt gesellschaftlich und politisch auf. Tag für Tag. Es bedarf einer „persönlichen Entscheidung“, die — wenn sie in Zukunft immer wieder getroffen wird — sowohl einen konfessionellen Pluralismus als auch einen politischen Personalismus ankündigt.

Im Mittelpunkt steht der Mensch, der Mensch in seinem Kollektivausdruck, der in diesem Kulturkreis seit den Tagen Mohammeds lebendig ist. Der Marxismus allein scheint in den ausgedörrten Wüsten Mohammeds fruchtbaren Boden zu finden. Im heißen Wüstenwind vermag die grüne Fahne des Propheten ungestört neben der roten Fahne des islamischen Sozialismus zu wehen. Die Frage scheint akut, sogar berechtigt: Wird in Zukunft ein „und“ die Lebensphänomene Morr und Mohammed verbinden?

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