6856047-1977_16_05.jpg
Digital In Arbeit

Kündigungsschutz und Zinsstopp als Bumerang für viele Mieter

19451960198020002020

Die längste Zeit waren die Sozialisten die verläßlichsten Gralshüter eines unveränderten Mieterschutzes. Nun will Justizminister Christian Broda, wie er kürzlich andeutete, doch am Mieterschutz rütteln. Zinsstopp und Kündigungsschutz stehen zur Diskussion. Zuletzt entwickelte sich der Mieterschutz immer mehr zum Bumerang für jene Mieter, die er eigentlich schützen sollte. Abgesehen von den Nachteilen, die er den Wohnungsuchenden bringt, abgesehen von den Löchern, die er direkt oder indirekt in die ohnehin schon desolaten öffentlichen Finanzen reißt.

19451960198020002020

Die längste Zeit waren die Sozialisten die verläßlichsten Gralshüter eines unveränderten Mieterschutzes. Nun will Justizminister Christian Broda, wie er kürzlich andeutete, doch am Mieterschutz rütteln. Zinsstopp und Kündigungsschutz stehen zur Diskussion. Zuletzt entwickelte sich der Mieterschutz immer mehr zum Bumerang für jene Mieter, die er eigentlich schützen sollte. Abgesehen von den Nachteilen, die er den Wohnungsuchenden bringt, abgesehen von den Löchern, die er direkt oder indirekt in die ohnehin schon desolaten öffentlichen Finanzen reißt.

Werbung
Werbung
Werbung

Je länger eine realistische Reform hinausgeschoben wird, um so unlösbarer werden die Probleme, um so härter die Maßnahmen, die schließlich ergriffen werden müssen. Die Wohnbausituation ist bereits mit gigantischen Hypotheken belastet:

• Das Einfrieren der Mietzinse auf dem Niveau von 1914 hat auch zum Einfrieren des Wohnungsstandards auf diesem Niveau geführt. Das Resultat sind unzählige. Substandardwohnungen in Häusern, in denen eine Modernisierung mit relativ geringem Aufwand möglich wäre.

• Eine Modernisierung würde in vielen Fällen das Zusammenlegen von Kleinstwohnungen zur Voraussetzung haben. Dies ist aber, da praktisch nie die komplementären Wohnungen gleichzeitig frei werden, angesichts des totalen Mieterschutzes nahezu ein Ding der Unmöglichkeit.

• Die Statistik zeigt, daß trotz der noch immer herrschenden Wohnungsnot die österreichischen Althauswohnungen im Durchschnitt (international verglichen) unterbelegt sind. Der Grund ist, daß angesichts der niedrigen Zinse viele Mieter in viel zu großen Wohnungen leben oder gar in einer Eigentumswohnung hausen und eine Mietwohnung (auch mehrere!) „auf Vorrat“ leer stehen lassen. Die legisti- sche Theorie kennt zwar den Kündigungsgrund der Nichtbenützung, was aber angesichts der Spruchpraxis unserer Gerichte so gut wie nie zum Tragen kommt. Schließlich ist, speziell in kleineren, vom Besitzer selbst bewohnten Häusern, die praktische Unmöglichkeit, einen einmal aufgenommenen Mieter wieder loszubekommen, eine weitere Ursache für das Leerstehen vieler Wohnungen.

Der Mieterschutz erweist sich insofern als unsozial, als von ihm in erster Linie die Besitzer alter Komfortwohnungen - also hauptsächlich die begüterten Schichten - profitieren. Die sozial Schwächeren, die aus dem „Bas- sena-Standard“ herauswollen, sind hingegen auf die teuren Neubauwohnungen angewiesen.

Aber auch für die „Beati Possidentes“ liegt unter dem sanften Ruhekissen des Mieterschutzes die Zeitbombe: Die früher oder später notwendig werdende Generalreparatur des Hauses, die zu heutigen Preisen selbstverständlich nicht aus Mietzinsreserven auf der Basis von 1914 durchgeführt werden kann, bringt dann im Rahmen des berüchtigten Paragraph-7-Verfah- rens eine abrupte Mietzinserhöhung,

trinjtu. uui i-/uu uicne die häufig auf ein Niveau hinaufschnellt, das die sozial Schwächeren schwer belastet. Ein graduell gestiegenes Zinsniveau, das eine angemessene Reservenbildung gestattet hätte, wäre für sie viel vorteilhafter gewesen.

Dies ist aber noch die mildere Form der „Bombendrohung“: Viel schlimmer für den Mieter ist noch, daß die finanzielle Aushungerung des Althausbesitzes in immer mehr Häusern zu einer moralischen Qualitätsverschlechterung des „Hausherrn“ führt. Die traditionellen Besitzer sind in immer größerer Zahl außerstande, ihren Besitz zu erhalten, und verkaufen daher an Demolierungsspezialisten und Wohnbauspekulanten - weit unter dem einfachen Grundstückswert. Die Spekulanten führen dann systematisch die Baufälligkeit eines Hauses herbei, weil dies die einzige Möglichkeit zur Aufhebung des Mieterschutzes darstellt und ihnen das große Geschäft bringt.

Die in der kleinen Mietenrechtsnovelle 1972 endlich festgelegte Entschädigungspflicht für die weichenden Mieter wurde in der Praxis von den professionellen „Baulöwen“ sehr rasch ausgehöhlt. Der einzig wirksame Schutz für die Mieter würde daher darin bestehen, die Mieterschutzbestimmungen in einer Weise abzuän- dem, daß die Möglichkeit und der Anreiz zur Erhaltung und Modernisierung des Hausbesitzes gegeben würde.

Trotz einer seit mehreren Dezennien forcierten Neubauaktivität bleibt die Zahl der Wohnungsuchenden konstant, da aus den angeführten Gründen beinahe im gleichen Tempo Althauswohnungen verloren gehen (quantitative Wohnungsnot) bzw. deren Substandard immer unzumutbarer wird (qualitative Wohnungsnot).

Unzumutbarer Substandard

Die gegenwärtige Situation ist nicht zuletzt das Resultat des Prinzips, den Althausbestand absichtlich verfallen zu lassen und das Wohnungsproblem einzig und allein über den Neubau zu lösen. Diese Methode hat sich als Irrweg erwiesen und zahlreiche, zum Teil irreparable Schäden mit sich gebracht.

Mehrere Dekaden hindurch bestand eine Ubemachfrage nach Bauleistungen. Die Konsequenzen: Die Baupreise sind überproportional gestiegen, was dazu führte, daß frei finanzierte Neubauwohnungen trotz der konstant steigenden Realeinkommen der Bevölkerung für einen immer kleineren Prozentsatz erschwinglich sind. Die öffentlichen Kassen müssen den Wohnbau in immer stärkerem Umfang subventionieren, wobei sich das Verhältnis zwischen den eingesetzten öffentlichen Mitteln und den damit erzielten Bauleistungen konstant verschlechtert.

Die überhöhte Nachfrage führte zu Uberkapazitäten der Bauwirtschaft, deren Reduktion auf ein vernünftiges Ausmaß zahlreiche ökonomische Probleme (Vollbeschäftigung) mit sich bringt. Der ganze Baukomplex zählt auch zu den vehementesten Schubkräften der Inflation.

Fragwürdige Rentabilität

Schließlich führte die rein auf quantitativen Erfolg orientierte Bautätigkeit zu schlechter Qualität des Neubaus - fehlende Wärme- und Schalldämmung, kleine niedere Räume, Minimalkomfort -, zur Errichtung der stadt- und landschaftsbüdzerstören- den architektonischen Monstren sowie zu optisch deprimierenden Satellitenstädten mit fehlender Infrastruktur, die sich nun als Fehlplanungen erweisen und in vielen Fällen den Naherholungsraum zerstört haben.

In vielen Fällen ist die Neubautätigkeit auch bedeutend kostspieliger als eine vergleichbare Sanierung erhaltungswürdiger Altbauten. Schließlich muß den Satellitenstädten die gesamte Infrastruktur (Kanal, Straßen, Einkaufsmöglichkeiten, Schule etc.) nur zu oft „nachgereicht“ werden, was - auf dem Umweg über die öffentliche Brieftasche - die ursprünglichen Baukosten beträchtlich erhöht.

An der massenweisen Zerstörung denkmalgeschützter Bauwerke in den letzten Dekaden ist nicht zuletzt die Tatsache schuld, daß man sich nicht einmal entschließen konnte, wenigstens diese vom totalen Mieterschutz auszuschließen und damit die Voraussetzung für eine umfassende Sanierung zu schaffen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung