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Konsequent bis zur Selbstaufgabe

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Wäre er nicht seinem Glauben treu geblieben — oder wie er es ausdrückt, hätte er einen Klerikalismus gegen den anderen tauschen wollen —, wäre der Mann, der mir an einem heißen Sommervormittag hoch über den verkarsteten Hügeln der Adria-Insel Lozinj gegenübersaß und charmant bei türkischem Kaffee plauderte, heute vielleicht zweiter oder dritter Mann Jugoslawiens. So wie sein ehemaliger Freund und jetziger Hauptgegner, der Chefideologe Edward Kardelj, mit dem er nur noch den Vornamen gemein hat und die Tatsache, daß auch er Slowene ist: Edward Kocbek, Jahrgang 1904, früher Professor in Ljubljaria (für Philosophie), Mitglied der akademischen slowenischen Kreuzbewegung, vor dem Zweiten Weltkrieg Führer der christlich-sozialen Intelligenz Sloweniens. 1941: Partisan, Vizepräsident der slowenischen Befreiungsfront und später der jugoslawischen Partisanenregierung, 1945 Kultusminister in Belgrad, 1946 Vizepräsident des Präsidiums der Republik Slowenien, dann Dichter mit Publizierung^sverbot von 1952 bis 1962, seit einigen Monaten wieder im Kreuzfeuer des offiziellen Jugoslawien: „Weißgardist“, »Verräter“ sind einige der Prädikate, mit denen die staatlich gesteuerte Presse den Siebzigjährigen gebrandmarkt hat, in einer Weise, die Heinrich Boll vor kurzem einen politischen Prozeß fürchten und' gleichzeitig gegen diese Absicht protestieren ließ.

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Wäre er nicht seinem Glauben treu geblieben — oder wie er es ausdrückt, hätte er einen Klerikalismus gegen den anderen tauschen wollen —, wäre der Mann, der mir an einem heißen Sommervormittag hoch über den verkarsteten Hügeln der Adria-Insel Lozinj gegenübersaß und charmant bei türkischem Kaffee plauderte, heute vielleicht zweiter oder dritter Mann Jugoslawiens. So wie sein ehemaliger Freund und jetziger Hauptgegner, der Chefideologe Edward Kardelj, mit dem er nur noch den Vornamen gemein hat und die Tatsache, daß auch er Slowene ist: Edward Kocbek, Jahrgang 1904, früher Professor in Ljubljaria (für Philosophie), Mitglied der akademischen slowenischen Kreuzbewegung, vor dem Zweiten Weltkrieg Führer der christlich-sozialen Intelligenz Sloweniens. 1941: Partisan, Vizepräsident der slowenischen Befreiungsfront und später der jugoslawischen Partisanenregierung, 1945 Kultusminister in Belgrad, 1946 Vizepräsident des Präsidiums der Republik Slowenien, dann Dichter mit Publizierung^sverbot von 1952 bis 1962, seit einigen Monaten wieder im Kreuzfeuer des offiziellen Jugoslawien: „Weißgardist“, »Verräter“ sind einige der Prädikate, mit denen die staatlich gesteuerte Presse den Siebzigjährigen gebrandmarkt hat, in einer Weise, die Heinrich Boll vor kurzem einen politischen Prozeß fürchten und' gleichzeitig gegen diese Absicht protestieren ließ.

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Heinrich Boll und dem internationalen Pen-Club gilt auch in erstei Linie der Dank Kocbeks, den ei mehrmals während der mehrstündigen Unterredung hervorstreicht „Boll hat sehr viel für mich getan denn er hat das Eis gebrochen, da: sich um meine Person sowohl in Jugoslawien als auch in der westlichen Welt gebildet hatte. Denn anders als bei Djilas oder Dedijer nahm man von mir kaum Notiz in der Welt.“

Es ist nicht gekränkte Eitelkeit } des Dichters, die da aus Kocbek spricht, sondern vielmehr die Ver- &#9632; bitterung, daß man kommunistische Renegaten im Westen offensichtlich für bedeutsamer hält als ihn, der j&#167;| seine Isolierung der Tatsache zuzu- £<jf schreiben, hat, daß er konsequent bis zur Selbstaufgabe im kommunistischen Jugoslawien Katholik, wenn auch kritischer Katholik und Intellektueller, geblieben ist.

Die jüngste Kampagne gegen den einstigen Tito-Intimus Kocbek hatte mit einem Interview begonnen, das in Buchform unter dem Titel „Edvard Kocbek, pricevalec nasega casa“ (Edward Kocbek, ein Zeuge unserer Zeit) im Verlag der Triester slowenischen Zeitschrift „Zaliv“ (Der Golf) erschienen war. Darin äußerte sich Kocbek sehr kritisch über die Tatsache, daß Titos Partisanen elftausend slowenische antikommunistische „Domobranci“ (Freiheitskämpfer) nach der Ubergabe durch die britische Besatzungsmacht in Kärnten erschossen hatten

— Offiziere, Chargen und Mannschaften. Als Kocbek davon erfuhr

— erst 1946 — wollte er sofort als Minister zurücktreten. Denn er hatte wie andere führende Christlich-Soziale geglaubt, nach dem Kriege würde in Jugoslawien eine plurali-stisch-demokratische Gesellschaft entstehen. Nur unter diesen Vorzeichen waren er und seine Freunde während des Krieges und unmittelbar danach in den Befreiungskampf gegen das Hitler-Regime eingestiegen. Doch man wartete gar nicht auf seine Demission: Nach dem Erscheinen seines Buches „Tovarisija“ (Die Freundschaft) erzwangen Kardelj und Kidriö seinen Abgang. Kocbek heute: „Das war noch die Zeit, als der sozialistische Realismus in Jugoslawien hoch im Kurs stand. Da paßten meine kritischen Bücher einfach nicht in das Konzept der Partei.“

Man warf Kocbek vor, dieses und seine anderen Bücher seien anstößig und „zu frei im Ausdruck“ und daher mit der Position eines Spitzenpolitikers unvereinbar.

Die zehn Jahre, die folgten, gehören zum Bittersten in der Erinnerung Kocbeks: „Fragen Sie mich nicht, wovon ich gelebt habe — oder wovon ich heute lebe. Ich durfte nichts publizieren, weder in Jugoslawien noch im Ausland.“

Danach besserte sich die Situation. Kocbek: „Man vergaß mich einfach — offiziell. Inoffiziell ging das Wühlen gegen mich weiter.“

Den maßgeblichen Unterschied zwischen seiner und der Situation Milovan Djilas' („Die neue Klasse“) charakterisiert er so: „Djilas kann heute Artikel für die „New York Times“ schreiben und tun und lassen war er will. Denn er war schon im Gefängnis. In Belgrad selbst herrscht überhaupt eine etwas liberalere Atmosphäre: In Laibach hingegen, das in dieser Beziehung wirklich eine Provinzstadt ist, wird einem alles bis zum Tode nachgetragen oder wieder hervorgeholt, wenn es opportun ist, und mit einer Permanenzwirkung versehen.“

Das nachträgerische Moment bekommt auch Kocbeks Familie täglich zu spüren: „Du hast keinen guten Namen, hat man meinem Sohn gesagt, willst du nicht einen anderen Namen annehmen.“ Kocbek fürchtet um die. .Zukunft . seiner , Söhne und deren Familien: „Nun, der eine hat schon eine Stellung, aber Juri, mein jüngerer Sohn, studiert noch und muß schließlich einmal mit diesem Lande und seinem System fertigwerden.“

Zur Belgrader „Liberalität“ gibt Kocbek noch eine andere Interpretation, die seinen alten Freund Jo-&#167;ip Broz Tito betrifft: „Er regiert dieses Land wie ein Patriarch, wie ein Monarch. Während es auf dem sogenannten Amtsweg immer unmöglich ist, mit einer Beschwerde oder mit einem Anliegen spezieller Natur durchzukommen, braucht man sich nur an das Büro des Staatspräsidenten zu wenden — schon wird alles erledigt.“

Anderseits, so sagt Kocbek, würde dieses Anklammern an Tito natürlich alle Gefahren der Personalisierung der Politik mit sich bringen, denn: „Nach ihm kommt nichts, das Chaos, oder — gewisse Russophile in Belgrad, die sicher nicht zur Genesung unseres Landes beitragen werden.“

Ist der Pessimismus dieses Mannes gerechtfertigt, der scheinbar als Wohlstandsrentner in seinem Urlaubsdomizil im legeren Trainingsanzug sitzt und sieh die — allerdings rotgeränderten — Augen reibt?

Kocbek sagt: „Ich habe sehr unter der Kampagne der letzten Monate gelitten. Fast jeden Tag ein Artikel gegen mich, manchmal in „Borba“, dann in „Politika“ oder in „Delo“. Jeden Tag. Und die Fragen der Menschen auf der Straße, im Restaurant...“

Sein Beispiel mag ein Mahnmal sein für jene, die als Katholiken den „historischen Kompromiß“ mit dem Sozialismus östlicher Prägung suchen. Es gibt sie auch im Westen, die sogenannten progressiven Katholiken. Dort ist es leichter, sagt Kocbek, ein Mann, der es wissen muß.

Eine Einladung nach Klagenfurt und Graz mußte er ablehnen. Am 3. und 4. August sollte er dort Vorträge halten. Aber: „Der Bischof von Marburg hat mir gesagt, ich sollte lieber zu Hause bleiben. Die österreichischen Slowenen, die linken, also die Tito-Gruppe, wie sie genannt wird, hätte gegen meinen Auftritt protestiert und mit Gegenmaßnahmen gedroht.“

Heftig dementiert Kocbek westliche Berichte, wonach er keine Ausreisegenehmigung aus Jugoslawien erhalten hätte: „Mein Paß läuft erst Ende August ab und ich bin sicher, daß man ihn mir verlängern wird. Ich habe keine Angst.“

Er hat nicht vor ein paar österreichischen slowenischen Radikalen gekniffen, ebensowenig wie vor Hitlers Truppen, denen er als ein Führer der „Osvobodilna fronta“, der Befreiungsfront, gegenüberstand. Damals hatten die Christlich-Sozialen den Marxismus akzeptiert, als

„eine soziopolitische Methode für die Strategie und Taktik des Befreiungskampfes“. Und alle Christlich-Sozialen — außer ihrem Führer Kocbek — traten nach dem siegreichen Ende des Kampfes auch zur KP über. Er aber, der in einem Artikel am Vorabend des Zweiten Weltkrieges die Zielsetzungen des republikanischen Spanien während des Bürgerkrieges gelobt hatte (in der Zeitschrift „Dejanje“, „Die Tat“), wollte nicht „einen Klerikalismus gegen den anderen eintauschen“.

Kocbek ist heute davon überzeugt, daß sieh die &#9632; christliche Soziallehra nicht mit den. Ideen des Kommunismus vereinen läßt.

Für ihn kommt diese Erkenntnis zu spät. Für alle „offenen Katholiken und. Christen“ der westlichen Welt ist sie jedoch eine Aufforderung zur Wachsamkeit. Das weiß Edward Kocbek heute auch: „Ich sehe in dieser Gipfelkonferenz von Helsinki nur ein zweites München, in dem der Westen wie weiland Chamberlain, um nur ja in keine Auseinandersetzungen hineinzukommen, einen Kniefall vor den Diktaturen gemacht hat. Damit wurde das Schicksal von Millionen Menschen in Europa auf dramatische Weise negativ besiegelt.“

Und während die Mittelmeersonne über der Insel Lozinj ihrem gnadenlosen Höhepunkt an diesem Tag zustrebt, weist Kocbek mit erhobener Hand nach Norden: „Diese Insel ist ein Erholungsort für Asthmatiker. Früher kurten hier die Prinzen der österreichischen Monarchie und auch die lungenschwache Kaiserin Elisabeth. Heute sind ihre Schlösser von der Regierung der DDR gemietet.“ So ändern sich die Zeiten.

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