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Herausgefordert

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„Die Wiener Schule in der Musikgeschichte des 20.1 Jahrhunderts" war das Thema eines Kongresses, den die Internationale Schönberg-Gesellschaft im Juni in Wien veranstaltete. Erstaunlich war das Ausmaß, in dem sich die Referate auf Schönberg konzentrierten, obwohl doch Alban Berg in der musikalischen Praxis eine mindestens ebenso große Rolle spielt, und Anton von Webern durch die serielle Musik ins Zentrum wenigstens des theoretischen Interesses gerückt ist.

Schönberg ist immer noch eine Herausforderung, und der einleitende Vortrag von Carl Dahlhaus zu „Schönbergs ästhetischer Theologie" ließ erkennen, daß man bei der Auseinandersetzung mit den geistigen Voraussetzungen von Schönbergs musikalischem Denken in die Nähe sowohl der jüdischen Mystik als auch des Dezio-nismus von Carl Schmidt geraten kann. Zurecht wurde in einem anderen Diskussionsbeitrag betont, daß durch Schönberg vor allem das musikalische Denken des 20. Jahrhunderts verändert worden ist.

Diese Tatsache bildete eine der Voraussetzungen dafür, daß ein Kongreß zustande kommen konnte, zu dessen Teilnehmern eine große Anzahl von führenden Musikwissenschaftlern gehörte.

Obwohl die Thematik sehr weit gestreut war und von Vergleichen mit anderen Komponisten (Reinhold Brinkmann „Schönberg und Busoni", Werner Breig „Schönberg und Wagner") über die Erschließung unerforschter Quellen (Jürg Stenzl „Zu Schönbergs .Erwartung' ", Hermann Danuser „Zu Schönbergs .Vortragslehre'") bis zu kulturgeschichtlichen Problemen reichte (Anna Maria Moraz-zoni „Der Schönberg-Kreis und Italien", Manfred Wagner „Schönbergs Krise um 1911 als Symptom der österreichischen Kulturgeschichte"), zeichnete sich das Treffen durch eine ebenso kompetente wie auf gegenseitigem Verständnis beruhende Kommunikation zwischen den Teilnehmern aus, wie sie auf Tagungen immer seltener geworden ist.

Der Kongreß, der unter dem Ehrenvorsitz von Erich Krenek stand, war von Rudolf Stephan und Sigrid Wiesmann organisiert worden, die auch selbst mit Referaten über „Berg als Schüler Schönbergs" und „Ein Schönberg-Archiv in Darmstadt — das Scheitern eines Projekts" hervortraten. (Jaques Dünki spielte frühe Werke und Fragmente von Alban Berg.)

Die Wirkung der Wiener Schule auf die Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts zeigt sich einerseits in kompositorischen Beziehungen, wie sie ein Referent an den russischen Avantgardisten der zwanziger Jahre zeigte, andererseits an dem Einfluß, den Schönberg auf die Interpretation ausübte. Und so war es sinnvoll, daß sowohl das Wiener Streichquartett als auch der Komponist Rudolf Kolisch und anhand von Tonbeispielen spezifische Züge der Aufführungspraxis der Schönberg-Schule ausführlich dargestellt wurden.

Der gut und gleichmäßig besuchte Kongreß zeigte, daß Tagungen wahrscheinlich am fruchtbarsten sind, wenn der Gegenstand begrenzt, aber nicht zu eng ist. Und insofern war Schönberg, dessen Werk einerseits überschaubar ist und andererseits die Musik eines ganzen Jahrhunderts geprägt hat, wohl ein besonders glückliches Thema.

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