Richtig opfern!

19451960198020002020

Opfern kann gefährlich sein und ist doch unumgänglich. Gerade deshalb entstehen gesellschaftliche Probleme – die eine Diskussion über richtiges Opfern notwendig machen.

19451960198020002020

Opfern kann gefährlich sein und ist doch unumgänglich. Gerade deshalb entstehen gesellschaftliche Probleme – die eine Diskussion über richtiges Opfern notwendig machen.

Werbung
Werbung
Werbung

In der aktuellen Theologie ist der Opferbegriff verfemt. Überlebende von sexueller Gewalt lehnen aus guten Gründen ab, immer nur als Opfer gesehen zu werden. Niemand will einem Krieg zum Opfer fallen. In der Jugendsprache ist „Du Opfer!“ ein Schimpfwort. Aber dann stoße ich auf den Buchtitel „Richtig Opfern“ und bin verblüfft. Des Rätsels Lösung: Es ist ein Buch über Schach. Hier ist es eine große Kunst, Schachfiguren zu opfern, wenn dies dem Sieg dient.

Mit Menschen geht das zum Glück nicht so leicht. Trotzdem ist das Opfern von Lebensressourcen unumgänglich, gesellschaftsrelevant, aber eben auch gefährlich. Diese These legte ich vor Kurzem einem interdisziplinären Workshop zugrunde. Dabei war die Unterscheidung zwischen victim und sacrifice wichtig, die das Englische kennt, das Deutsche jedoch nicht. Victim sein bedeutet, passiv einen Schaden zu erleiden. Sacrifice wiederum ist ein Opfer, das jemand um eines höheren Zieles willen bringt. Ein sacrifice ist aktiv und kann Menschen stärken, weil sie sich in den Dienst einer höheren Sache stellen.

Jedes sacrifice hat jedoch einen Victim-Anteil, sonst wäre es kein Opfer. Wenn sich Aktivistinnen und Aktivisten der „Letzten Generation“ auf einer Straße festkleben, bringen sie ein Opfer. Durch dieses Selbstopfer fühlen sich Autofahrerinnen und -fahrer jedoch viktimisiert. Das führt zu gesellschaftlichen Turbulenzen. Opfern ist notwendig – bei der Fürsorge für Kinder; bei der Offenheit für Fluchtmigration; zum Abbremsen des Klimawandels. Probleme entstehen, wenn sich eine Gesellschaft nicht darin einig ist, für welche „höhere Sache“ sich welches sacrifice lohnt. Daher braucht es eine gesellschaftliche Debatte über das Opfern. Gerade weil dies aufgrund von Opferideologien des Nationalsozialismus und der beiden Weltkriege derzeit verfemt ist.

Die Autorin ist katholische Vulnerabilitätsforscherin an der Universität Würzburg.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung