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Freuds Denkmuster

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Man kann sagen, „daß das Ge schlechte Verhältnis in der Menschenwelt., eigentlich der unsichtbare Mittelpunkt allen Tuns und Treibens ist und trotz allen ihm übergeworfenen Schleiern überall hervorguckt Es ist die Ursache des Krieges und der Zweck des Friedens, Grundlage des Ernstes und das Ziel der Scherze, die unerschöpfliche Quelle des Witzes, der Schlüs-

sei zu allen Anspielungen und der Sinn aller geheimen Winke, aller unausgesprochenen Anträge undal- ler verstohlenen Blicke, das tägliche Dichten und Trachten der Jungen und oft auch der Alten, der stündliche Gedanke der Unkeuschen und die gegen seinen Willen 6tets wiederkehrende Träumerei des Keuschen… ja man kann sagen, der Mensch sei konkreter Geschlechtstrieb.“

Diese Sätze stammen nicht von Sigmund Freud, sondern von Arthur Schopenhauer („Die Welt als Wille und Vorstellung“). Sie sind ein Beleg für die Vermutung des Wiener Psychiaters Hans Strotzka: „Offenbar war Freud von der panischen Angst gequält, daß man ihm ein Plagiat an Schopenhauer, Nietzsche und Schnitzler vorwerfen könne, und er versuchte sich durch teilweise Unkenntnis davor zu schützen.“

Die Distanz zur Philosophie, die Freud wiederholt ausgedrückt hat, steht in eigenartigem Widerspruch zu seiner genauen Kenntnis des deutschen Idealismus von Kant bis Nietzsche und seiner Auseinandersetzung damit. Schon die „Wunder- block“-Ausstellung, die in Wien derzeit anläßlich des 50. Todestages von Freud zu sehen ist, weist deutlich darauf hin, daß dessen Lehre nicht einfach vom Himmel gefallen ist, sondern auf mancherlei Vorarbeiten, auch auf Lehren aus Irrwegen, gründet.

Die Philosophen haben sich jedenfalls zur Auseinandersetzung mit Sigmund Freud entschlossen und versprechen sich davon manche Klärung. Im Philosophischen Institut der Universität Wien hat sich eine sechsköpfige Arbeitsgruppe „Philosophie und Psychoanalyse“ gebildet, die den weltweiten Dialog registriert, diskutiert und mit eigenen Gedanken anreichert. Dem Symposium, das sie jetzt mit der Sigmund- Freud-Gesellschaft im Rahmen der Wiener Festwochen durchführte, lag ein Band „Die Philosophen und Freud“ zugrunde, in dem die wichtigsten Referenten mit grundlegenden Aufsätzen vertreten 6ind.

Die Auseinandersetzungen um die Lehre Freuds - etwa mit den Philosophen des „Wiener Kreises“ - sind durch Freuds Emigration nicht abgebrochen. Seine Widersacher waren nämlich größtenteils auch emigriert. Die Diskussion verlagerte sich nur geographisch. So kamen auch zum Wiener Symposium Gelehrte aus denVereinigten Staaten, Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland, Holland und Jugoslawien. Das Verdienst der Veranstalter ist es, die wichtigsten Köpfe in der weltweiten Diskussion versammelt zu haben-weim auch die geldgebenden Festwochen darauf achten, daß das interne Fachgespräch nicht die Breitenwirkung beeinträchtigte. Die Vorträge waren unerwartet stark besucht.

Das Interesse für die philosophische Vorgeschichte der Freudschen Theorien wächst. Man kann bei Schopenhauer oder Nietzsche nach- lesen, daß Begriffe wie „Wille“, „Drang“ oder „Trieb“ schon in der Luft lagen, als Freud sich ihrer bediente. Freud kam - bei aller Allgemeinbildung - von einem streng naturwissenschaftlichen Medizinstudium zu seiner Seelenforschung.

Die Frage, ob die Psychoanalyse eine exakte Naturwissenschaft sei, wie Freud es erstrebte, oder eine hermeneutische Lehre, die verschiedene Deutungen zuläßt, ist bis heute nicht ausdiskutiert. Vermutlich steht sie dazwischen, ist beiden Bereichen zugehörig. Wenn die Psychoanalytiker sich mit den Philosophen befassen, dann stellen sie wie Hans Strotzka beispielsweise fest, „daß auch Nietzsche seine Schwäche überkompensierte und daß Schopenhauers unglückliche Mutterbeziehung in seinem System sich zum Teil widerspiegelt.“

Die Beschäftigung mit der Sexualität kann immer auf breite Aufmerksamkeit rechnen. Für den Psychoanalytiker hat sie eine körperliche und eine soziale Kompo nente: „ .Sexuelle Erfahrungen aber heißt: soziale Geschehnisse am Körper, als Körpererfahrung aufgrund körperlicher Strebungen. Und diese physisch-soziale Einheit .Sexualität bildet keineswegs nur ein Akzidens der psychoanalytischen Wissenschaft, es ist deren Mitte“ (Alfred Lorenzer).

Wenn sich die Freudsche Psychoanalyse vorwiegend darum bemüht, seelische Leiden „zur Sprache zu bringen“, so berührt sie sprachtheo- retische Positionen der Philosophie. Sprache ist Bewußtsein. Aber die Psychoanalyse dringt ja auch in Bereiche des Unbewußten vor, die sich nur in Traumbildern, in Symbolen und Mythen fassen lassen. Allerdings geht sie auch über die Behandlung des einzelnen Patienten hinaus zu einer Kulturanalyse, wo sie sich mit der Gesellschafts kritik etwa der „Frankfurter Schule“ trifft - so wie Freud seinerzeit in mancher Position (keineswegs nur in der Religions-Feme) Karl Marx nahestand. Hier tun sich gewiß weite Räume auf, die noch mit Gedanken und Erkenntnissen erfüllt sein wollen, die denkende Leute neugierig machen können.

Man muß sich allerdings auch eine andere Frage stellen: dieser bis heute beunruhigende Gelehrte Sigmund Freud baute ja nicht nur auf philosophischen Grundkenntnissen auf. Erschöpfte aus der historischen wie der mythologischen Überlieferung Europas, ja der Menschheit. Er wußte eben, wo er die Paten seines „Ödipus-Komplexes“ zu finden hatte. Was wäre wohl avis ihm geworden in einer Zeit, die fürs Medizinstudium nicht einmal mehr den Besuch einer Lateinschule vorsieht?

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