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Fleck auf weißer Weste

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Wenn in dieser Woche zwei „Jahrhundertgesetze“ den Nationalrat passieren, könnten eigentlich alle Parteien zufrieden sein. Die Ausschußberatungen über Strafrechtsreform und Gewerbeordnung sind ohne spektakuläre politische Differenzen über die Bühne gegangen, die Abgeordneten könnten sich ihrer weißen Weste erfreuen. Wenn nicht die Bestimmungen über die Abtreibung wären. Sie hinterlassen einen Fleck auf der weißen Weste. Dieser Fleck ist aber nur ein äußeres Zeichen einer tiefen Kluft, die sich durch ganz Österreich zieht und die sich auch durch alle erdenklichen Propagandamanöver nicht so leicht und so bald zuschütten lassen wird.

Sicher, Präsident Benya formulierte es erst vor kurzem in einer Pressekonferenz: die Liberalisierung der Abtreibungsbestimmungen ist eine alte Forderung der Sozialdemokratie, noch aus der Zeit bitterer Not nach dem Ersten Weltkrieg. Aber kann man sie unter den derzeit gegebenen Voraussetzungen so ohne weiteres erfüllen? Kann man eine Bestimmung wie die Fristenlösung so ohne weiteres in ein Gesetzeswerk aufnehmen, das eigentlich jetzt wieder 100 Jahre lang Maßstab für Recht und Unrecht und damit indirekt auch Spiegelbild von Moral und Ethos einer Gesellschaftsordnung in einem freien Staat über einen so langen Zeitraum sein soll?

Fest steht, daß außer einigen Gruppen innerhalb der Sozialistischen Partei (keineswegs die Gesamtpartei!) alle gegen die Fristenlösung sind: die Universitätsfrauenkliniken, die Gynäkologen, die Kinderärzte, die katholische Kirche ohnedies, aber auch nach einer von

der ÖVP veröffentlichten Umfrage 60 Prozent der Bevölkerung. Nur Frau Gesundheitsminister Leodolter stellte sich als Ärztin wieder einmal einsam auf die weite Flur, als sie schon vor Monaten bei einer Pressekonferenz sagte, daß für den Arzt die Fristenlösung das einzig „mögliche sei“. Ihre Kollegen werden ihr diese Äußerung, eingedenk ihres hippokratischen Eides, wieder einmal besonders zu danken wissen — wo doch auf der anderen Seite die sozialistische Propaganda besonders die Gewissensfreiheit des Arztes im Hinblick auf die Durchführung einer Abtreibung betont.

Sieht man sich das neue Strafrecht — abgesehen von den Bestimmungen über die Abtreibung — in seiner Gesamtheit an, so kann man, grob gesprochen, sagen: Verschärfungen und Liberalisierungen halten einander die Waage. Die große Systematik des in seinen Grundzügen aus dem Jahre 1803 stammenden Strafrechtes ist nicht grundlegend verändert worden. Mancher wird sicher sagen können, es sei viel zu liberal vorgegangen worden bei der Bemessung von Strafausmaßen für verschiedene Tatbestände. In der Diskussion im Strafrechtsunter-aussohuß wurde jedenfalls nicht leichtfertig und nur nach sachlichen (und nicht politischen) Gründen entschieden. Die Ersetzung gewisser Freiheitsstrafen durch Geldbußen konnte einhellig abgeschlossen werden.

Diskussionen mag es noch über den Strafvollzug geben, wie ihn das neue Gesetzeswerk vorsieht: keinen Unterschied zwischen Arrest und Kerker; was es freilich auch bisher nur auf dem Papier gab. Denn in der

Praxis war es doch schon früher so, daß alle Häftlinge in ein und derselben Anstalt saßen. In Hinkunft soll auf die verschärfenden Zusätze einer Strafe ebenfalls verzichtet werden (zumindest sollen sie im Urteil nicht mehr enthalten sein). Erst in der Strafanstalt soll entschieden werden, ob Strafverschärfungen, etwa Einschränkung der Verköstigung oder Dunkelhaft, verhängt werden. Hier wird immer noch dagegen eingewendet, daß dadurch dem Verwaltungspersonal in der Strafanstalt Kompetenzen richterlicher Art gegeben werden.

Im Justizministerium hatte man noch vor einem Jahr geglaubt, es werde fast nicht gelingen, den Pen-sionierungsschu'b aufzufangen, der durch Inkrafttreten des neuen Strafgesetzes eintreten könnte. Anfangs sah es nämlich so aus, als ob viele Richter und Staatsanwälte, die nur noch wenige Jahre bis zu ihrer regulären Pensionierung haben, sich schon früher pensionieren ließen, um nicht mehr auf die neue Gesetzeslage umlernen zu müssen. Die Befürchtungen haben sich aber als nicht sehr stichhaltig erwiesen. Es handelt sich in ganz Österreich nur um 50 derartige Fälle, sagte erst unlängst der Justizminister.

Rund 20 Jahre hat es übrigens gedauert, bis nunmehr das fertige neue Strafgesetz vorliegt. Im Jahre 1953 konstituierte sich die Strafrechtskommission, die einen Entwurf ausarbeiten sollte. Wie viele Mitglieder dieser Kommission im Laufe der Zeit ausgeschieden oder neu hinzugekommen sind, läßt sich so auf Anhieb gar nicht sagen. Eines ist jedoch klar: in diesen 20 Jahren hat sich die Forschung auf dem Gebiet

der Strafrechtslage vor allem aber der Kriminologie, der Rechtssoziologie und anderer Nebendisziplinen enorm verstärkt, die Praxis des Strafvollzuges bat sich nicht zuletzt durch die Heranziehung der Wissenschaft und durch das Studium ausländischer Modelle, auf der anderen Seite aber auch durch den drohenden Personalmangel, wesentlich verändert. Und ohne diese permanente, mehr als 20 Jahre währende Diskussion wäre es heute nicht zu einer Reform gekommen, mögen sich auch in diesen 20 Jahren viele Maßstäbe von Ethik und Moral, nicht zuletzt durch die zunehmende Internationalisierung des Denkens, verschoben haben.

Das neue Strafrecht ist fertig. Es wird in die Annalen verbunden mit dem Namen von Justizminister Broda eingehen. Auf seiner blütenweißen Weste wird aber auch der Fleck der Abtreibungsregelungen zurückbleiben, Obwohl man ihm bescheinigen möchte, daß gerade er es war, der in dieser Frage sehr lange

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