Lavant - © Foto: picturedesk.com / Imagno / Franz Hubmann

Heimatgefühl

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Über Christine Lavants atemberaubendes Weltbürgertum - und geschlossene Welten, in denen man erstickt.

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Über Christine Lavants atemberaubendes Weltbürgertum - und geschlossene Welten, in denen man erstickt.

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Am Weg nach Pliberk/Bleiburg kommen Biker in schwarzem Leder auf Harley-Davidsons entgegen, sie pilgern zum Faaker See. Mein Mekka ist das Werner Berg Museum in Unterkärnten. Dort ist der Briefwechsel zwischen dem Maler und der Dichterin Christine Lavant ausgestellt, die Beziehung ihrer Werke zueinander. Ein Brief Lavants berührt mich besonders. Sie schreibt, dass sie der Frau Werner Bergs im Traum so inne nahe gewesen sei, sogar den Funken ihrer Seele erkannt habe. Es gäbe keine größere Schuld, als in diese Bereiche Unordnung zu bringen, durch die Liebe, die sie, Lavant, zu Werner Berg verspüre. Ihr Bekenntnis bezeichnet sie in Verbindung mit ihrer äußerlichen Erscheinung als lächerlich. Ein Foto liegt in der Vitrine bei, zeigt eine sehr kleine Kopftuch-Frau neben einem groß-schlanken Mann. Sein Ernst solle die Angelegenheit des Herzens schlichten.

Im Dokumentarfilm raucht Lavant eine Zigarette. Sie schildert ihren Werdegang. Die sehnsüchtig hungrigen Augen schauen gewitzt in die Kamera. Die katholische Leidensmiene, die Lavant üblicherweise zugeschrieben wird, verpufft durch ihre Ironie.

Im erwähnten Brief an Werner Berg überlässt sie dem Ehepaar die Entscheidung, ins Familien­leben eindringen zu dürfen. Die Ehrlichkeit, mit der sie nach vorne prescht, ist so frappant, dass ich davonrennen würde, wäre ich Werner Berg. Ihr Mut zur Wahrhaftigkeit ist atemberaubend. Ich liebe auch ihren Stolz, Einsamkeit, wohl auch als Liebende, durch das Schreiben aushalten gelernt zu haben. Natürlich sei „etwas“ da gewesen, etwas Besonderes, denn sonst könnte ja jeder Einsame schreiben, sagt sie. Dieses „Etwas“ ist heilig und Abgrenzung von jeglicher Frömmelei. Lavants Literatur ist Weltbürgertum. Auf der Rückfahrt begegne ich wieder Harley-Davidson-Bikern. „Thüringen. Freies Germania“ ist ins Leder genietet, Inbegriff einer in sich geschlossenen Welt, in der man erstickt.

Die Autorin ist Schriftstellerin.

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