7025549-1989_10_11.jpg
Digital In Arbeit

Erlebbare Räume

Werbung
Werbung
Werbung

Im Rohbau fertiggestellt und in wenigen Monaten abgeschlossen ist die Kirchenanlage in Karlsruhe-Neureut des Wiener Architekten und Architekturlehrers Ottokar Uhl. Das preisgekrönte Projekt aus dem Wettbewerb von 1980 ist städtebaulich konzipiert als Eröffnung eines Zuges von Wohnbauten. Abhebung gelingt hier zugleich mit Zugehörigkeit und Zusammenhang.

Am stadtseitigen Schwerpunkt dieses Neubaugebietes neben Einkaufszentrum und Badenlandhalle beginnt der kirchliche Bereich mit Kindergarten, Saalbau und Nebenräumen in Flachbauweise. Uber Atrium, Saal und Foyer ist der Zusammenhang mit den eigentlichen Kirchenräumen hergestellt. Ohne unangenehme Dominanz und aufgeblasenes Volumen gelingt damit eine Steigerung. Die verschiedenen flachen und hohen Bauteile sind durch die durchgehende Kunststeinbekleidung in einen ruhigen Zusammenhang gebracht, der sich von den Wohnbauten gerade in seiner Geschlossenheit abhebt und alles in den Zusammenhang einer durchgehenden, von Wänden und Stufungen bestimmten Figur zusammenfaßt.

Der schmale Bauteil, der die höchste Raumstufe in der mehrschiffigen Kirche birgt und im spiegelnden Glasdach seine Bekrönung findet, ist quergestellt zur Abfolge der Räume und bildet mit seiner Wand den steigernden und stauenden Abschluß und Hintergrund für die um das Atrium entwickelte Raumgruppe.

Vor der Höhe und Schlankheit dieses langen Querraums liegt vorgelagert ein breiterer, gedrungener Raum mittlerer Höhe, der inmitten der niedrigeren Anschlußbauten rundum wie ein Zentralbau den mittleren Haupt teil des Raumes umfaßt. Dieser mittlere Bereich liegt wie unter der Dunkelheit eines Baldachins zwischen der Helligkeit des Hochschiffs und der andersartigen Helligkeit der niedrigen, schon dem Flachbau zugehörigen Raumteile der Kirche, die aus dem Gartenbereich des Atriums ihr Licht erhalten und in ihm eine Ausweitung ins Offene finden.

Je nach Besucherzahl und Festcharakter der gottesdienstlichen Handlung kann einer dieser Bereiche zum Zentrum der Kirche werden. Der Altarbereich läßt sich dementsprechend an verschiedenen Orten einrichten. Die Kombination der Räume und ihre Erlebbarkeit ist nach verschiedenen Richtungen möglich. Diese so reiche Raumfigur vereinigt die alten Traditionen von Langschiffbau, Querhaus, Zentralbau, Raumfolge, Kapellenkranz, Kreuzgang. Auch die abschließende Hochwand ist ohne zwingende Starre, weil in ihr die Türen der Übergänge zu Sakristei und Pfarrhaus eingefügt sind und Durchblicke zum Grünstreifen auf der anderen Seite der Kirche.

Zu Nischen ausgeweitete Ecksituationen und Raumschalen, die wie kleine Kapellen frei eingestellt sind, nehmen wichtige Orte auf’für die Taufe, die Sakramen- tenanbetung, die Andacht, die Beichte beziehungsweise Aussprache.

Auch die Emporen, deren eine die Schmalseite des Hochraums abschließt, während die andere das gegenüberliegende Ende längs begleitet, tragen dazu bei, das Beziehungsspiel in dieser räumlich so reich entwickelten Kirche in Schwebe zu halten und auch für Chor, Musik oder szenische Beiträge von Gruppen diese Kombination aus traditioneller Rück-, Seiten- oder Chorempore für eine reichere und dem Kirchenjahr entsprechend differenziertere Liturgie heranzuziehen.

Diese Kirche ist das Werk eines der Vorkämpfer für eine geistig intensiv geführte Auseinandersetzung um wahrhaft gegenwärtigen Kirchenbau. Ottokar Uhl bemühte sich um eine bauliche Umsetzung wesentlich christlicher Anliegen mit verfügbaren einfachen Mitteln abseits der formelhaften und abstumpfenden Repräsentationsbauten schon in den frühen Studentenkapellen seit dem Ende der fünfziger Jahre, dann in Kleinkirchen, in der Bischof skirche zu Taegu und in den vielen Beiträgen zur liturgischen und zeitgemäßen Neuordnung alter Kirchen. Das letzte von Uhls partizipativen Wohnbauprojekten in Wien, das schon im Rohbaustadium ist, entstand aus seinem Korizept „Familienkloster“ und zeigt seine Verbundenheit mit Gruppen intensiver christlicher Lebensgestaltung in der Gegenwart.

Der Autor ist Leiter des Institutes für Kirchenbau und sakrale Kunst an der Wiener Akademie der bildenden Künste.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung