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Erfolglose Beschwörung

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Auf einem Parteitag im Schwabinger Bräu haben die Münchner Sozialdemokraten einen neuen Vorstand gewählt und ein Aktionsprogramm verabschiedet. Dabei hat sich erneut gezeigt, daß dieser SPD-Unterbezirk — der mit Hessen-Süd und Westlichem Westfalen zu den extrem linken Gruppierungen der deutschen Sozialdemokratie gehört — kompromißlos dazu entschlossen ist, auf Wahlerfolge zu verzichten, wenn dadurch die reine Lehre des marxistischen Sozialismus gerettet wird.

Die Totalniederlage bei den Landtagswahlen, als auf einen Schlag sämtliche 11 Direktmandate an die CSU verlorengingen, die Schlappe mit dem stellvertretenden Vorstandsmitglied Geiselberger, der wegen Kommunistenkontakten die Partei verlassen mußte, die fast wöchentlich in den Lokalzeitungen breit geschilderten Streitereien innerhalb der Partei — vornehmlich zwischen dem Vorstand, den Jusos und den Kreisverbandsvorsitzenden einerseits und der mehr rechts orientierten Stadtratsfraktion anderseits —, sinkende Mitgliederzahlen und zunehmende Unmutsreaktionen innerhalb der gesamtbayrischen SPD über die Münchner Mißstände haben bisher nur eines bewirkt: den beinahe einhelligen Verzicht der bisherigen Vorstandsmitglieder auf eine erneute Kandidatur.

Was aber zum größten Eklat führte, war der eindeutige Mißerfolg des Münchner Oberbürgermeisters Kronawitter. Als Repräsentant der Stadtratsfraktion und damit jener gemäßigten Richtung der Reformer im Sinne Vogels, die sich noch berechtigte Erfolge bei den Wählern ausrechnen können, erhielt er für

seine Kandidatur als stellvertretender Vorsitzender nur 125 Stimmen von insgesamt 268 Delegierten. Die außerhalb und innerhalb der Kulissen getätigten Beschwörungsversuche aus Bonn, aus der Landesleitung der' bayrischen SPD und aus anderen politischen Schaltstellen erwiesen sich als fruchtlos. Der Parteitag stellte sich in seiner Mehrheit hinter die Meinung des früheren Juso-Sprechers Berlitz, der den Genossen sieben Monate vor den Bundestagswahlen und zwei Jahre vor den nächsten Stadtratswahlen einhämmerte, sich nicht nur um Wahlen zu kümmern. In den Parlamenten seien die konsequenten Verfechter einer sozialistischen Partei ohnehin nicht imstande, Veränderungen durchzusetzen. Zum einen dominiere dort der Einfluß der Wirtschaft und zum anderen hätten Entscheidungen von Parteitagen doch keine Wirkung bei den Mandatsträgern. In diametralem Gegensatz zum neuen Vorsitzenden von Heckel, der — bereit zum verbalen Kompromiß — die Delegierten aufforderte, sich auf die Bewußtseinslage der Bevölkerung auszurichten und nicht auf den Diskussionsstand von Theorie-Arbeitskreisen, stand die auf dem Parteitag vorliegende Wahlkampf-Strategie der Münchner Linken: „Der Wahlkampf einer progressiven, sich eman-zipatorisch verstehenden Partei wie der SPD darf sich in seinen Aussagen nicht an den Bewußtseinsstand der Bevölkerung angleichen, sondern muß versuchen, diesen für die Forderungen und die Verwirklichungen der Forderungen der SPD vorzubereiten.“ Was diese Forderungen enthalten, zeigt ein von den Delegierten verabschiedetes Aktionsprogramm, das zum Teil stark über die differenzierten Äußerungen des Mannheimer Orientierungsrahmens hinausgeht. Nach den Münchnern sollten „alle gesellschaftlichen Bereiche demokratisch aufgebaut“, die Kontrolle wirtschaftlicher Macht „durch die Beteiligung aller an der Verfügungsgewalt über die Wirtschaft“ erreicht und „Produktionsziele und Produktionsbedingungen gesellschaftlicher Kontrolle unterworfen werden“. Ein weiteres Ziel bildet die gemeinsame Strategie und Handlungsbasis der sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien Europas: „Dabei wird in Frankreich und Italien auch das Verhältnis zu den dortigen kommunistischen Parteien selbstbewußt und an den politischen Möglichkeiten und Notwendigkeiten orientiert, geprüft werden müssen.“

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