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Ein offenes Wort

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Meine Damen und Herren! In die Fußstapfen meines Vorredners treten, hieße jaulen nach Athen tragen. Ich will deshalb, dem Gebot der Stunde folgend, gleich in medias res gehen und den Stier bei den Hörnern packen.

Wie war es bisher? Wir glaubten zu schieben und wurden geschoben. Wir sahen weder das schleichende Gift, das die Wurzeln benagt, noch den Samen der Zwietracht, der die Brunnen vergiftet. Wir glaubten, ernten zu können, wo wir nicht gesät hatten, und dachten, uns flögen die gebratenen Tauben in den Mund.

Der Herr aber gibt es auch den Seinen nicht im Schlaf; nur steter Tropfen höhlt den Stein. Seitdem uns dies wie Schuppen von den Augen fiel und dem Faß den Boden ausschlug, hat unsere Partei nicht mehr für andere die Kastanien aus dem Feuer geholt, sondern sich um das stolze Banner ' eherner Richtlinien geschart und den Verderbern die kalte Schulter gezeigt.

Wo stehen wir heute? Wir sehen den üppig ins Kraut geschossenen Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Was die Finanzen anlangt, steht uns das Wasser bis an den Hals. Wir schweben über dem Abgrund und suchen nach dem rettenden Strohhalm, der uns aus dem Labyrinth führen soll.

Ich habe von der Pike auf gedient, mir kann man weder blauen Dunst noch ein X für ein U vormachen.

Ich habe nie mit den Wölfen geheult oder in ihr Horn geblasen, sondern stets den Finger in die Wunde gelegt. Deshalb bin ich auch immer den Gegnern das rote Tuch des Anstoßes gewesen.

Unsere Feinde rühmen sich ihrer weißen Weste, haben aber ihre Hände in anderer Leute Taschen und Dreck am Stecken. Sie wollen uns in die Suppe spucken und sie noch versalzen, aber es gelingt ihnen nicht, weil wir turmhoch über ihnen stehen.

Die Pfeile, die sie gegen uns richten, schlagen ihre eigenen Herren. Anstatt mehrere Eisen im Feuer zu haben, setzten sie alles auf eine Karte, aus der wir ihnen jetzt einen Strick drehen. Wir werden so lange glühende Kohlen auf ihr Haupt sammeln, bis sie den kürzeren und die Konsequenzen ziehen.

Schon merken sie, daß sie sich in den Finger geschnitten und den Ast abgesägt haben, auf den sie bauten. Schon fühlen sie, daß sie sich zwischen zwei Stühlen in die Nesseln gesetzt haben. Sie sehen ihre Felle fortschwimmen, ihre Grundpfeiler wanken und ihr Haus in Flammen aufgehen.

Schon verlassen die Ratten das sinkende Schiff, werfen die Flinte ins Korn und treten den Gang nach Canossa an.

Strich drunter! Die Zeiten der Vogel-Strauß-Politik sind vorbei. Wir müssen wieder der Wirklichkeit in die Augen blicken.

Jetzt heißt es, das Heft in die Hand zu bekommen und dem Gaul die Kandare spüren zu lassen.

Wir werden mit eisernen Besen auskehren, ohne dabei das Kind aus dem Bade zu schütten. Wir werden die Axt an den morschen Stamm legen und so lange in die gleiche Kerbe schlagen, bis wir durch Nacht zum Sieg gelangen.

Meine Damen und Herren! Ich gehöre nicht zü denen, die das Gras wachsen hören, aber ich weiß, wieviel die Glocke geschlagen hat. Ich sehe, daß der Tanz der Götzen um das Goldene Kalb zu Ende geht und neues Leben aus den Ruinen blüht. Und ich sehe durch das geöffnete Tor der Hoffnung — einen Silberstreifen am Horizont.

(Nichts enden wollender Beifall.)

Erstmals veröffentlicht 1932 in der „Vossischen Zeitung".

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