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Ein Menschenbild von Gerhard Roth

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Mit dem Buch „Die Geschichte der Dunkelheit" hat Gerhard Roth seinen achtteiligen Romanzyklus „Die Archive des Schweigens" beendet und nur von diesem letzten Teil soll hier die Rede sein.

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Mit dem Buch „Die Geschichte der Dunkelheit" hat Gerhard Roth seinen achtteiligen Romanzyklus „Die Archive des Schweigens" beendet und nur von diesem letzten Teil soll hier die Rede sein.

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Einem Buch, dem keineswegs die wichtige, oft vernachlässigte Fähigkeit fehlt, den Leser schnell zu „fesseln", ihn mit wenigen starken Sätzen in seinen Bann zu ziehen, eine eigene Welt zu konstituieren, eine Welt in der Sprache, aus Sprache - alles das gelingt Rothr

Nur mit der Durchlässigkeit dieser Sprache für Wirklichkeit jenseits der Sprache und jenseits der Subjektivität des Autors hapert es. Genau darauf, auf Wirklichkeit jenseits der Sprache und jenseits der Subjektivität des Autors, zielte das Vorhaben.

Abgesehen von wenigen Seiten „Rahmenhandlung" am Beginn und Ende handelt es sich um den Lebensbericht eines 1938 emigrierten, in den sechziger Jahren zurückgekehrten Wiener Juden, geschrieben in der ersten Person. Die erste Person verpflichtet in diesem Fall zu so etwas wie Authentizität.

Absurderweise verlor die Frage, ob die Figur des Karl Berger eigentlich ein lebendes Vorbild habe, für mich umso mehr an Wichtigkeit, je mehr ich über Karl Berger erfuhr. Es liegt nicht am Schicksal, das erzählt wird, sondern an der Erzählung. Je mehr ich über Karl Berger erfuhr, desto mehr kam er mir abhanden. Einerseits entschied sich Roth für die Ich-Form, andererseits taucht er bestenfalls ansatzweise ein in dieses erzählende Ich. Das kann respektable Gründe haben, etwa Respekt vor dem erzählten Schicksal, Über-Indentifi-kation mit der Figur... Leider verzichtete Gerhard Roth darauf, diesen Konflikt schreibend mit sich selbst auszutragen, was ein ebenso riskantes wie faszinierendes Unternehmen gewesen wäre. Er zog es vor, mit den Mitteln der Sprache um das Problem herumzukommen.

So entwickelte er für den Ich-Bericht des Wiener Juden Karl Berger einen privaten Chronik-Stil von hochartifizieller Einfachheit, eine Sprache, die Äußerlichkeiten mit Bedeutung auflädt, aber Reflexionen ebenso wie Emotionen wie äußere Begebenheiten behandelt, eine Sprache, die den Eindruck vermittelt, da habe sich nicht ein Karl Berger erzählend von seinem Schicksal distanziert, sondern ein Dichter von einem ihn Überfordemden Stoff.

Die Erklärung der Schwächen eines Buches mindert diese leider nicht. So groß der Stoff ist (und der Stoff dieses Buches ist ein großer Stoff, hätte es jedenfalls sein können), so groß sind die Schwächen. Sie beginnen sich früh bemerkbar zu machen. Nämlich, wenn Gerhard Roth Bergers Erzählung von seiner Kindheit fast lesebuchmäßig mit eigenen Wien-Recherchen und, jedes Wort erklärend, mit Informationen über das Judentum auflädt und den Leser mit mundgerecht portioniertem Wissen über die Politik der Zwischenkriegszeit versorgt.

Auf den Satz „Besonders gerne erinnere ich mich an Pessach" folgt zum Beispiel keine Erzählung vom Pessachfest in der Familie Berger, sondern eine fast zwei Seiten lange Erklärung, was Pessach ist.

Der gerade durch die kunstvolle Einfachheit der Sprache getragen wirkende Erzählton behandelt Schreckliches und Triviales völlig gleichrangig, er setzt keine Prioritäten, er läßt den Leser daher beispielsweise nach dem Satz „Auf dem Schiff lernte ich einen marokkanischen Juden aus Jerusalem kennen, der mir aber unheimlich war" mit der bangen Frage allein, ob diese Begegnung schicksalhaft gewesen sei oder beiläufig, ob der Autor vielleicht Berger und den unheimlichen marokkanischen Juden noch einmal zusammen-zu führen gedenkt und warum der Marokkaner Berger überhaupt unheimlich war. Wir werden es nie erfahren, die Figur geht verloren, die Erwähnung bleibt so beiläufig wie die „Frauen einer Organisation", die Tee und Sandwiches an Bord bringen.

Sei's drum. Wir erfahren ja kaum etwas über Bergers Beziehungen. Frauen kommen und gehen, aber mit einer Beiläufigkeit, die das Interesse an diesen Beziehungen tötet.

Wie Gerhard Roth über Wien schreibt, das hat leider nicht etwa den „Reiz des fremden Blicks", sondern einen starken Beigeschmack von jüngst erst Angeeignetem. Die Gliederung des „Berichtes" in zwölf (Unter-)„Berichte" wirkt gestelzt, die vielen Unterkapitel - etliche Titel stehen über ganzen sechs oder sieben Textzeilen - wirken als weitere Unterbrechungen eines nie richtig in Gang kommenden Erzählflusses und lassen den Verdacht aufkommen, der Autor könnte Probleme gehabt haben, die 150 Seiten zu füllen.

150 Buchseiten, denen die Frische, Unmittelbarkeit und Authentizität etwa der Lebensberichte in der Radiosendung „Menschenbilder" fehlt. Den echten Karl Bergers, ihren Erinnerungen, Verwundungen, ihrer Lebensbilanz wurden solche „Menschenbilder" besser gerecht als Gerhard Roths Buch - der fiktive Karl Berger aber bleibt ein schemenhaftes Konstrukt.

Fazit: Ehrenvolles Scheitern an einem großen Stoff, nicht, weil sich ein Dichter übernahm, sondern weil er einer Herausforderung auswich. Möglicherweise nahm er sich für den letzten Band der „Archive des Schweigens" schlicht zuwenig Zeit. Sprachliche Ungenauigkeiten deuten darauf hin, daß es so gewesen sein könnte. Über einige Ausdrücke hat der Dichter wohl zuwenig nachgedacht. Oder es fehlt ihm an Gespür. Ich glaube kaum, daß ein authentischer Karl Berger von einer „jüdischen Insel im großen arischen Meer" gesprochen hätte. Wenn aber doch - das .jüdische Element" wäre ihm kaum passiert. Es stammt direkt aus dem „Wörterbuch des Unmenschen".

DIEGESCHICHTE DER DUNKELHEIT. Von Gerhard Roth. S. Fischer Verlag, Frankfurt/ Main 1991. 158 Seiten. öS 280,80.

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