Parlament - © Foto: Rainer Messerklinger

Rechte Narrative: Die neue Normalität

19451960198020002020

Die Nationalratswahl machte vieles deutlich. Darunter auch, dass früher nationalistische Positionen heute zur politischen Mitte geworden sind. Das könnte uns die Demokratie kosten. Ein Gastkommentar.

19451960198020002020

Die Nationalratswahl machte vieles deutlich. Darunter auch, dass früher nationalistische Positionen heute zur politischen Mitte geworden sind. Das könnte uns die Demokratie kosten. Ein Gastkommentar.

Werbung
Werbung
Werbung

Viele Fragen wurden in den Tagen nach der Wahl heiß diskutiert: Wie lässt sich der Unterschied im Wahlverhalten zwischen Stadt und Land erklären? Warum konnte die SPÖ nicht stärker vom sinkenden Vertrauen in die Regierung profitieren – oder die Grünen vom spürbaren Klimawandel? Welche Rolle spielte die Teuerung?

Eine andere Entwicklung bekam dabei nur sehr wenig Aufmerksamkeit: die Normalisierung rechter Narrative. Positionen, die noch vor wenigen Jahren als nationalistisch galten, sind heute zur politischen Mitte geworden. Auch in der ehemals europafreundlichen ÖVP ist es etwa „normal“ geworden, europäische Politik­gestaltung gegen die vermeintlichen Segnungen nationaler Souveränität auszuspielen. Begriffe wie „Integrationsunwilligkeit“, die lange Zeit als FPÖ-Kampfbegriffe galten, sind – wie die Sprachsoziologin Ruth Wodak kürzlich in einer Studie zeigte – in den politischen Diskurs der Mitte eingegangen. Die Annahme, dass Migration die Ursache nahezu aller gesellschaftlichen Probleme sei, wird von vielen öffentlichen Medien und politischen Akteuren unhinterfragt akzeptiert. Zugleich werden linke Inhalte als radikal bezeichnet: So wurde der Ruf Andreas Bablers nach Erbschafts- und Vermögenssteuern für die Reichsten von einer weiten Bandbreite von Kommentatorinnen und Kommentatoren, auch aus dem progressiven Lager, als extrem bezeichnet. Mit dieser Forderung habe die SPÖ potenzielle Wählerinnen und Wähler „verschreckt“, hieß es.

Liberale oder „Wahldemokratie“?

Diese Verschiebungen in der öffentlichen Debatte sind nicht nur unangenehm für jene, die progressive politische Positionen bevorzugen. Sie betreffen die Fundamente unserer Demokratie. Wissenschafter verwenden unterschiedliche Kriterien, um Demokratien zu klassifizieren. Die Unterscheidung zwischen liberaler und elektoraler Demokratie („Wahldemokratie“) spielt dabei eine wichtige Rolle. Letztere ist ein politisches System, in dem zwar regelmäßig Wahlen abgehalten werden, dem aber andere Kennzeichen liberaler Demokratien fehlen – wie effektive Kontrolle der Macht durch freie Presse oder zivilgesellschaft­liche Organisationen. Österreich wurde im Jahr 2022 im internationalen Demokratie-Ranking von einer liberalen Demokratie zu einer Wahldemokratie herabgestuft – auch weil zahlreiche Kontrollmechanismen während der Regierung Kurz I abgebaut worden waren.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung