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Die Stunde Arafats

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Als Henry Kissinger in diesen Tagen erneut den Staatschefs der „Konfrontationsstaaten” des Ramadan- Krieges seine Aufwartung machte, um sie mit den Mitteln der westlichen Führungsmacht wie mit seinem persönlichen Charme zu einer friedlichen Vernunftregelung des Nahostkonflikteg zu überreden, zeigte er einem Mann die kalte Schulter: Abu Ammar, alias Jassir Arafat, Chef der „Palästinensischen Befreiungs-Organisation” PLO). Der von den Araberstaaten und nun auch von der Mehrheit der UN-Mitglieds- staaten anerkannte Arafat schien ihm kein direktes Gespräch wert, obwohl bereits seit geraumer Zeit von vertraulichen Kontakten zwischen den USA und der PLO gemunkelt wird. Aber so streng sind nun einmal die diplomatischen Bräuche.

Der Partisanen-Tarnname Abu Ammar besagt wenig. Abu ist der arabische Begriff für Vater, Ammar ein Hügel im saudisch-arabischen Mutterland des Korans. Jassir Arafat ist ebenfalls nur ein Namenskürzel. Mohammed Abed Arouf Arafat, wie er wirklich heißt, stammt aus Jerusalem. In dessen arabischem Stadtteil „el-Kuds” („die Heilige”) erblickte er das Licht der Welt. Die Heilige Stadt dreier Weltreligionen war damals Schauplatz von Terror und Gegenterror zwischen arabischen Nationalisten unter dem zwielichtigen und inzwischen verstorbenen „Großmufti” Hadsch Emin el-Husseini und den Zionisten. Arafat stammt aus keiner führenden, sondern aus einer allerdings ehrgeizigen Kleinbürgerfamilie. Sie wollte aus dem Söhnchen einen erfolgreichen Mann machen, der es einmal besser haben sollte, und schickte ihn auf die Kairoer Universität zum Ingenieurstudium. Leute, die ihn kennen, bezeichnen ihn heute als tatsächlich begabten Ingenieur. Dafür spricht nicht zuletzt sein horrender beruflicher Erfolg im Exil von Kuweit, wo er in wenigen Jahren Millionär wurde.

1944 gesellte sich der begabte Student zur „Palästinensischen Studen- ten-Union” (GUPS), die später zur Keimzelle seiner Guerillagruppe „el- Fatach” („Die Eroberung”) wurde. In ihr machte er seine erste politische

Karriere. Doch der politische Debattierklub befriedigte nicht ganz die ehrgeizigen Ambitionen des politischen Aktivisten. 1956, unter dem unmittelbaren Eindrück der Suezkampagne, gründete er seine eigene Guerillagruppe. Sie fristete zunächst nur ein Schattendasein.

In der gleichen Zeit machte Arafat eine erstaunliche berufliche Karriere. Die ersten Sporen als auf das Bauwegen spezialisierter Ingenieur verdiente er sich an seinem Studienort Kairo. Doch hier waren unter der Herrschaft des Nildiktators Gamal Abdel Nasser nur wenige Lorbeeren zu gewinnen. Das Jahr 1957 sieht den hoffnungsvollen jungen Mann daher in dem aufstrebenden Ölparadies Kuweit. Dort setzte er städtebauliche Akzente, verdiente, sich dadurch ein Vermögen,

1967 verließ er Kuweit — und er spricht nicht gerne darüber, wo er sich in der Zeit danach aufgehalten hat und was er tat. Jedenfalls brachte er das selbst erworbene Vermögen nach dem für die Araber verlorenen Sechstagekrieg in die von ihm gegründete „el-Fatach” ein. Nachdem die „Palästinensische Befreiungs-Organisation” unter dem blutrünstigen Großmaul Achmed esch-Schukeiri wegen ihrer maßlosen Greuelpropaganda gegen die Zionisten selbst bei den hartgesottensten arabischen Nationalisten Schiffbruch erlitten hatte, wählte man 1968 den Ingenieur aus dem Kleinbürgertum zum Nachfolger des Rechtsanwaltes aus dem Großbürgertum seiner Vaterstadt Jerusalem.

Arafat wurde seitdem immer mehr zur eigentlichen Seele des Terrors, der alle Grenzen überspielte, die sich die Zivilisation zu setzen pflegt.

Was diesen kleinwüchsigen Mann, der inzwischen eine unaufhaltsam größer werdende Glatze hat und zur Fülle neigt, auszeichnet, ist seine Wandlungsfähigkeit. Schon vor Jahren erschien er auf einer panarabi- schen Gipfelkonferenz in Rabat in einer Limousine mit dem Kennzeichen „PAL-1”, auf solche Weise dokumentierend, was sein eigentliches Ziel war. Inzwischen floß viel Wasser den Schicksalsstrom Jordan hinunter. Äuf der jüdischen Seite der Heiligen Stadt stellt man sich darauf eip, eines Tages diesen Mann als Nachbarn ertragen zu müssen. Er selbst läßt in Interviews und Volksreden zuweilen noch etwas von dem alten Feuer des Partisanenführers erkennen. Durch die Bereitschaft, vor der UN-Vollversammlung politisch für die Rechte seines Volkes zu kämpfen und auf der Genfer Friedenskonferenz zu verhandeln, zeigte er aber die Bereitschaft zur Wandlung. Vielleicht wird man schon bald nicht mehr vom Guerillachef Abu Ammar, sondern vom Präsidenten Jassir Arafat sprechen müssen …?

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