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Die Isolation überwinden

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In den letzten Jahren wurde das Wirtschaftswachstum in zunehmendem Maße der Kritik ausgesetzt, es führe in der Grundtendenz zur Konzentration von Kapital und wirtschaftlicher Macht. Die Unterschiede im Entwicklungsstand würden dadurch nur verstärkt. Die Ergebnisse der Untersuchun gen des Club of Rome haben diese Argumentation erhärtet. In Vorarlberg übersteigerte sich der wirtschaftliche Aufschwung in den letzten Jahren förmlich. Die Leistungen der Wirtschaft vervielfachten sich und selbst die Bevölkerung wuchs um über 60 Prozent. Diese Entwicklung hat auch Schattenseiten.

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In den letzten Jahren wurde das Wirtschaftswachstum in zunehmendem Maße der Kritik ausgesetzt, es führe in der Grundtendenz zur Konzentration von Kapital und wirtschaftlicher Macht. Die Unterschiede im Entwicklungsstand würden dadurch nur verstärkt. Die Ergebnisse der Untersuchun gen des Club of Rome haben diese Argumentation erhärtet. In Vorarlberg übersteigerte sich der wirtschaftliche Aufschwung in den letzten Jahren förmlich. Die Leistungen der Wirtschaft vervielfachten sich und selbst die Bevölkerung wuchs um über 60 Prozent. Diese Entwicklung hat auch Schattenseiten.

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Der Aufschwung konzentrierte sich im wesentlichen auf das Rheintal und den Walgau. In den fünfziger Jahren hat dort die Bevölkerung um 20 Prozent zugenommen; zwischen 1961 und 1971 sogar um 22 Prozent. In den Berggebieten des Landes kam es dagegen zwischen 1951 und’1961 zu einer Zuwachsrate von nur 3 Prozent; im letzten Jahrzehnt waren es 8 Prozent. Aus den Berggebieten Vorarlbergs mußte seit jeher ein großer Teil der Bevölkerung abwandern. Es fehlten ganz einfach genügend Beschäftigungsmöglichkeiten. Zielgebiete der Abwanderer waren die Städte und größeren Gemeinden im Rheintal und Walgau, wo immer mehr Industriebetriebe entstanden oder die bestehenden ihre Kapazitäten vergrößerten. Bis zum Ende der sechziger Jahre war jeder Dritte, der im Bregenzerwald, Großen Walsertal, Klostertal, Laternsertal oder in anderen Berggemeinden geboren wurde, zur Abwanderung gezwungen.

Solche einseitigen Wanderungsbewegungen, die zwar nicht zu einer Entleerung der Vorarlberger Berggebiete führten, die aber doch bewirken, daß die Talschaften hinter der allgemeinen Entwicklung Zurückbleiben, können wir uns in Zukunft nicht mehr leisten. Dies nicht allein aus wirtschaftspolitischen Überlegungen: Die Berggebiete bilden den Lebensraum für mehr als

50.0 Menschen. Eine gesunde Luft und eine schöne Landschaft sind zuwenig, um dort leben zu können. Dazu gehören auch Arbeitsmöglichkeiten, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen, Bildungseinrichtungen,

Krankheits- und Altersvorsorgestellen, Einrichtungen für zwischenmenschliche Kommunikationen und eine entsprechende Versorgung mit den notwendigen Gütern und Dienstleistungen.

In den vergangenen Jahren wurde mehrfach versucht, das Entwicklungsmanko der Berggebiete auszugleichen. So kam es in den fünfziger und in der ersten Hälfte der sechziger Jahre zur „Industrialisierung der Dörfer“. In entlegenen Berggemeinden wurden Industriebetriebe angesiedelt, die zunächst neue und wertvolle Beschäftigungsmöglichkeiten anbieten konnten. Der Erfolg dieser Verlage-

rung von wirtschaftlichen Aktivitäten war allerdings nur kurzfristig: Der Großteil der neuen Betriebe wurde, kaum waren sie gegründet, wieder aufgelassen. Die Ursachen hiefür waren vielschichtig. Entweder hatten sie als Zweigbetriebe nur eine Art Konjunkturpuffer-Funktion oder das Angebot an Arbeitsplätzen war mit den gesuchten Beschäftigungsmöglichkeiten nicht in Einklang zu bringen. In jedem Fall aber fehlte die Integration dieser neuen wirtschaftlichen Einhei ten in die bestehenden Strukturen.

Im übrigen genügt es nicht, nur Arbeitsplätze zu schaffen und die anderen Bereiche für die Lebensgestaltung zu vernachlässigen. Entwicklungsprobleme dürfen nicht isoliert betrachtet werden, sondern müssen in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit und gegenseitigen Beeinflußbarkeit beurteilt werden. Dies erfordert allerdings auch, daß Einzelinitiativen koordiniert und auf gemeinsame Ziele ausgerichtet werden.

Ein solches Vorgehen verlangt weitgehende Zusammenarbeit. Diese Erkenntnis setzte sich zwangsläufig immer mehr durch und so kam es 1968 im Bregenzerwald das erste Mal zu einer Institutionalisierung der Zusammenarbeit im Rahmen der Regionalplanung. Der Regionalplanungsgemeinschaft Bregenzerwald folgten zu Beginn der siebziger Jahre die Planungsgemeinschaften Großes Walsertal, Klostertal und Walgau.

Es ist bezeichnend, daß im Arbeitsprogramm dieser Regionalplanungsgemeinschaften nicht Probleme der Wirtschaft Prioritäten erhielten, sondern die Schaffung neuer Bildungseinrichtungen und der Ausbau der Infrastruktur. Es galt also mehr die qualitativen Aspekte des Daseins zu verbessern als die quantitativen.

Trotz dieser Schwerpunktsetzung gilt es auch im wirtschaftlichen Bereich, Voraussetzungen zu schaffen, daß das Angebot an Beschäftigungsmöglichkeiten vergrößert, werden kann. Das ist ein Problem der Strukturen und des Wachstums. Was die Strukturen anbelangt, bemüht man sich, die bestehenden kleinen und mittleren Handwerks- und Gewerbebetriebe auszubauen und zu vergrößern. Es wird in Zukunft aber auch notwendig sein, einen erheblichen Teil des Wirtschaftswachstums für die Verlagerung von wirtschaftlichen Aktivi täten in die Berggebiete zu verwenden.

Die Chance für die künftige wirtschaftliche Entwicklung bildet zweifellos der Fremdenverkehr. Mit Ausnahme des Arlberggebietes, des Kleinwalsertales und des Montafons steht die Entwicklung noch am Anfang. Von diesem Wirtschaftszweig können wesentliche Impulse ausgehen, wenn es gelingt, sie im produzierenden Handwerk und Gewerbe sowie in den übrigen Dienstleistungen voll wirksam werden zu lassen. In manchen extremen Berggemeinden konnte daher über den Fremdenverkehr die Entsiedelung gestoppt und eine gesunde wirtschaftliche Basis geschaffen werden. Gemeinden, wie Fontanella, Damüls, Schröcken und Lech, hätten ohne Fremdenverkehr keine Existenzberechtigung.

Einen wesentlichen Pfeiler in der Wirtschaft der Berggebiete bildet nach wie vor die Landwirtschaft. Dies sowohl aus produktionsorientierten Überlegungen und Gründen der Arbeitsplatzsicherung als auch im Hinblick auf die Landschaftsgestaltung. Auf Grund der weitgehend zentralen Regelung des Agrarmarktes lassen sich spezifische Lösungsmöglichkeiten für die einzelnen Berggebiete nicht durchsetzen. Die Konsequenz davon sind hohe Betriebsauflassungsquoten. Sie sind teilweise größer als in städtischen Gebieten.

Jede Strategie zur Herausführung der Berggebiete aus der Isolation muß den einzelnen Menschen in seinen verschiedenen Lebensbereichen in den Vordergrund rücken, und zwar den Erwerbstätigen in gleicher Weise wie die Jugend, den alten und den kranken Menschen. Dies erfordert allerdings ein Überspringen von bestehenden Institutionen und Organisationen.

In Zukunft können die vielschichtigen Probleme für die Berggebiete allerdings nur dann gelöst werden, wenn auch bei den staatlichen Institutionen ein Umdenken erfolgt. Die kommunale und regionale Ebene ist nicht nur ein Verwaltungs- und Vollzugsbereich, sondern hat die primäre Aufgabe, Entwicklungsvorstellungen zur Bewältigung der Zukunft zu erarbeiten, wobei eine gesunde Mischung von Selbstinitiative und staatlicher Förderung wünschenswert wäre.

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