Orlando Virginia Woolf Burgtheater - ©  Lalo Jodlbauer

Stefan Bachmanns Amtsantritt am Burgtheater: Drei starke Premieren von „Hamlet“ bis „Orlando“

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Mit Witz und Charme spricht, singt und tänzelt das Ensemble des Burgtheaters unter der Leitung des neuen Direktors, Stefan Bachmann, in die neue Saison. Große Vielseitigkeit zeichnet das Programm und die ersten Produktionen aus, darunter auch „Hamlet“ und „Orlando“.

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Mit Witz und Charme spricht, singt und tänzelt das Ensemble des Burgtheaters unter der Leitung des neuen Direktors, Stefan Bachmann, in die neue Saison. Große Vielseitigkeit zeichnet das Programm und die ersten Produktionen aus, darunter auch „Hamlet“ und „Orlando“.

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Ein Motto wollte der neue Burgtheaterchef Stefan Bachmann zum Start seiner Direktionszeit, anders als sein glückloser Vorgänger Martin Kušej, nicht ausgeben, eine erste Leitlinie wurde dann aber doch von ihm benannt: „Vielfalt“ soll im Haus am Ring einziehen, und tatsächlich startet das erste Premierenwochenende bunt, sogar kunterbunt. Passend dazu leuchten in Karin Henkels skurril-fantastischer Inszenierung der Shakespeare-Tragödie „Hamlet“ die düsteren Wolken über dem dänischen Königreich in grellbunten Farben (und damit passend zum Farbdesign des neuen BURG-Layouts), in Bachmanns eigener Regiearbeit „Johann Holtrop“, die der Neo-Chef aus Köln mitbrachte, sind es vielfältige Genres, die sich in dieser Groteske um Aufstieg und Fall eines selbsternannten Finanzgenies zu einem musikalisch-theatralen Sprachballett verbinden, und in Therese Willstedts Dramatisierung des queer-feministischen Virginia-Woolf-Klassikers „Orlando“ im Akademietheater wird die Geschlechtervielfalt gefeiert.

Hamlet als König des Minimalismus

Mit der deutschen Theatermacherin Henkel holt Bachmann eine versierte Shakespeare-Umbauerin ins Haus. Ihr 2021 bei den Salzburger Festspielen gezeigter „Richard the Kid & the King“ überzeugte als blutgetränktes Psychogramm eines Serienkillers. Am Burgtheater macht sie nun aus dem vielinszenierten Königsdrama eine verspielt-ironische Familienposse. Gleich zu Beginn tummeln sich auf der in Schwarz gehaltenen und nur mit drei übergroßen Kreispodesten ausgestatteten Bühne ein paar Dutzend Geister in Leintücher gehüllt, um den Mord an Hamlet senior anzuprangern. Unter der Geisterschar verbirgt sich auch der Königsmörder Claudius (wie immer überzeugend Michael Maertens), der sogleich das (Regie-)Zepter in die Hand nimmt und nach mehr Natürlichkeit in der Darstellung („nehmt einfach den Druck raus, spielt menschliche Kunstfiguren“) ruft.

Die Hauptfigur splittet Henkel auf. Gleich fünf Hamlets teilen sich die facettenreichen Charakterzüge des von Albträumen, Racheplänen und Selbstzweifeln getriebenen Prinzen: Von dämonisch (herausragend Benny Claessens), schwermütig (Katharina Lorenz) über bockig (Marie-Luise Stockinger) bis hin zu weinerlich (Alexander Angeletta) und verwegen (Tim Werths) ist alles dabei. Diesen bunten Strauß an Verhaltensauffälligkeiten zu kontrollieren, fällt den genervten (Stief-)Eltern Claudius und Gertrude (urkomisch sowohl in englischer als auch in deutscher Sprache: Kate Strong) nicht leicht. Da müssen einige Ränkespiele her, um den Machterhalt zu sichern und den Junior in Zaum zu halten.

Großartig, wenn Stockinger und Angeletta als Rosencrantz und Guildenstern, in puppenhafter Lethargie erstarrt, sich von Maertens und Strong wie Marionetten dirigieren lassen, um Hamlet auszuspionieren, oder der Ertrinkungstod Ophelias (Stockinger) vom Königspaar durch eine Plastikflaschendusche ausgeführt wird. Es wird mit Witz und Charme gespielt, ohne die Düsternis und Komplexität des Originals zu zerstören. Dass am Ende des zweiten Teils die Kindereien überwiegen, lässt einen werktreuen Zuschauer dann aber doch nicht mehr kalt: „Wo ist Shakespeare?“, hört man rufen, der Rest des Publikums zeigt sich aber begeistert von diesem famosen Schabernack.

Anhaltender Applaus für „Orlando“

Weniger euphorisch, aber immerhin freundlich fällt der Schlussapplaus zur wortgewaltigen Inszenierung des Hausherrn aus. 2023 am Schauspiel Köln uraufgeführt und mit dem Faust-Theaterpreis ausgezeichnet, ist „Johann Holtrop“ die gelungene Dramatisierung des 2012 veröffentlichten Romans von Rainald Goetz, der hier die reale Figur des deutschen Managers Thomas Middelhoff zur Vorlage für seine historische Studie vom „Abriss der Gesellschaft“ (so der Untertitel) nimmt. Bachmann macht daraus eine dramaturgisch fein gebaute, aber langatmige Theaterballade, das achtköpfige Ensemble spricht, singt und tänzelt zur live gespielten Musik eines versierten Konzertquartetts (unter der Leitung von Sven Kaiser).

Die Bühne für diese musikalische Theaterreise ist von vertikal gespannten dünnen Seilen durchzogen, um die sich die Schauspielerinnen (zwei von ihnen, Rebecca Lindauer und Ines Marie Westernströer, wechseln als feste Ensemblemitglieder von Köln nach Wien) virtuos herumwinden. Die Titelrolle des „Entscheidungshysterikers“ spielt Bachmanns Ehefrau Melanie Kretschmann, die bereits von 2007 bis 2013 zum Burgtheatercast zählte. Kretschmann besticht als aalglatter Firmenchef im blauen Anzug mit weißblonder Kurzhaarperücke und mit Rockabilly-Attitüde.

Die Erfolgskurve des egomanischen Jungunternehmers fällt nach dessen steilem Anstieg zur Jahrtausendwende im Zuge der Finanzkrise von 2008 rasant abwärts, das Ende fällt dementsprechend letal aus. Dass man als Zuschauer trotz temporeicher Dramaturgie bald das Gefühl bekommt, selbst in den Seilen zu hängen, liegt am handlungsarmen, aber textreichen Sprechgesang, der sich meist auf einem brüllend lauten Lärmniveau bewegt. Inhaltlich mutet das Stück veraltet an, bleibt thematisch jedoch noch immer brandaktuell. Leider sucht man in Bachmanns Arbeit vergeblich nach den Anknüpfungspunkten zur Gegenwart.

Als eine „Biographie, die im 16. Jahrhundert beginnt und bis zum heutigen Tag führt“, hatte Woolf ihren 1928 erschienen Roman über Geschlechternormen und Geschlechtergerechtigkeit beschrieben. In der Inszenierung der schwedischen Regisseurin Willstedt am Akademietheater wird das literarische Meisterwerk der rebellischen Autorin zu einem leichtfüßigen und fantasievollen Roadtrip durch die Jahrhunderte (Dramenfassung Tom Silkeberg); herrlich gespielt von Elisabeth Augustin, Stefanie Dvorak, Markus Meyer, Martin Schwab, Nina Siewert und Itay Tiran sowie dem ebenfalls von Köln nach Wien gewechselten Seán McDonagh.

Vor einem transparenten Vorhang aus Plastikstreifen lassen die sieben Orlandos, die sich beständig verändernden Kulturen, Normen und Klimaverhältnisse Revue passieren. Auf den adeligen Günstling am elisabethanischen Hof und einer kleinen Eiszeit folgt ein Jahrhundert später unterm strohbedeckten Sonnenschirm die Verleihung des Herzogtitels im überhitzten Klima Konstantinopels (Tiran mit barocker Prachtperücke und Einhorn-Schwimmreifen). Mit der Verwandlung zur Frau im 18. Jahrhundert (die Metamorphose wird von Meyer mit viel Verve vollzogen) bremst sich die Karriere jedoch schnell ein. Stattdessen prasseln Reifröcke, absurde Unterwäschemodelle und damit einhergehend die steifen Verhaltensregeln für eine Dame herab („Wer hat sich das ausgedacht? Die Natur sicher nicht.“).

Erst ein Seemann hoch zu Ross kann dem englischen Regenwetter trotzen und das Herz der einsamen Zeitenwanderer erobern. Es ist eine augenzwinkernde und charmante Märchenreise, die die Zuschauer zwei Stunden lang in den Bann zieht. Anhaltender Applaus quittiert diese letzte Premiere am BURG-Auftaktwochenende. Insgesamt kein schlechter Start für Bachmann, der mit diesen drei so unterschiedlichen Produktionen sicherlich breite Publikumsschichten anzusprechen vermag.

Dieser Artikel ist unter dem Titel „Fünf Hamlets, sieben Orlandos und ein neuer Burg-Chef“ am 12. September 2024 in der Printausgabe der FURCHE erschienen.

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