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Zu früh und zu spät

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“Wieder hat Österreich einen seiner großen Söhne verloren: mit dem Tod Heimito von Doderers beklagt auch die deutsche Literatur einen ihrer bedeutendsten Schriftsteller, die österreichische im besonderen einen Autor, der — nach der Generation der Musjl, Broch und Roth — wieder Weltgehalt ins heimische Schrifttum hereingeholt hat und der, so spezifisch österreichisch und wienerisch er war, Weltgültigkeit besaß.

Doderer begann frühzeitig zu schreiben, aber er reüssierte ziemlich spät, eigentlich erst nach 1945, zehn Jahre nachdem er den ersten Teil seines Hauptwerkes, „Die Dämonen“, abgeschlossen hatte. 1940 kam er zur deutschen Wehrmacht, 1946 kehrte er nach Wien zurück und begann die Arbeit an der „Strudlhof-stiege“, die ihm internationale Anerkennung brachte (vor kurzem erschien eine zweibändige Ausgabe im Deutschen Taschenbuch-Verlag) und mit der er den „totalen Roman“ verwirklichte.

Trotz seiner Liebe zum Detail und trotz sprachlicher Akribie war Doderer, der Nachkomme von Architekten und Technikern, ein Meister des „Fertigmachens“, also das Gegenteil eines „Fragmentisten“. Die Pläne zu seinen großen Romanwerken entwarf er — buchstäblich — am Reißbrett, mit bunten Tinten und Stiften. So hatte er auch sein letztes großes Werk mit dem skurrilen Titel „Roman Nr. 7“ als große epische Tetralogie konzipiert. Aber nur den ersten Teil mit dem Titel „Die Wasserfälle von Slunj“ konnte er vollenden. Vom zweiten Band sind nur etwa 200 Seiten, das wäre etwa ein Drittel des vorgesehenen Umfangs, druckfertig. Der Tod holte ihn von dieser Arbeit weg, und die große österreichische „Comidie humaine“ bleibt Fragment.

Heimito von Doderer starb dreieinhalb Monate nach seinem 70. Geburtstag, den er im Palais Schwarzenberg inmitten setner Freunde und Kollegen begehen konnte. Es war eines der schönsten Feste, die wir nach 1945 erlebt haben: glanzvoll und irgendwie intim, trotz einiger hundert Personen, die daran teilnahmen. Die österreichische Sektion des PEN-Clubs und Doderers Verlag (Biederstein, München) hatten es veranstaltet, der Bundesminister für Unterricht hielt die Laudatio, und Hans Weigel amüsierte mit einer Anti-Doderer-Rede. Der Dichter selbst, sichtlich erfreut und bei bester Laune, schien auch körperlich intakt. Aber seine Ärzte und die nächsten Freunde wußten es anders. Eine tückische Krankheit hatte ihn schon seit längerer Zeit befallen — und nun fällte sie ihn innerhalb weniger Wochen zwei Tage vor Weihnachten.

Die 'Trauer um seinen Tod wird ein wenig gemildert durch das Wissen: Doderer war kein verkannter, auch kein unterschätzter Dichter. Staat und Stadt haben ihm ihre höchsten Preise verliehen, zahlreiche Auszeichnungen, Ehrungen und Preise kamen auch aus dem benachbarten Deutschland, und er hatte einen Verlag, der alles von ihm druckte — und schön und sorgfältig edierte. Und trotzdem ...

Wir haben seit vielen Jahren immer wieder auf Doderers Werke hingewiesen und ihm zuletzt, in Nr. 36 der „Furche“ vom 3. September, anläßlich seines 70. Geburtstages, die Literarischen Blätter gewidmet. Es geschah dies alles nicht ganz ohne Nebenabsicht, nämlich in der Hoffnung, ihn der Weltöffentlichkeit als möglichen Nobelpreiskandidaten zu präsentieren. In der Weihnachtsnummer der „Furche“, die am Tag von Doderers Tod zu unseren Lesern gelangte, taten wir es nachdrücklich und nannten seinen Namen primo loco. Zu spät. Der Nobelpreis, den er wahrlich verdient hätte, wird nur an Lebende verliehen, und daß Doderer ihn nicht schon einige Jahre vorher erhielt, ist ein typisches österreichisches Mißgeschick.

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