Altes Buch - © Pixabay/svecaleksandr249

Stephan Hermlins "Auch ich bin Amerika": Anthologie schwarzer Lyrik aus den USA

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Stephan Hermlins 1948 erschienene Anthologie bringt erstmals ausschließlich von Schwarzen verfasste Lyrik aus den USA nach Deutschland – ein kühnes Unterfangen in der Nachkriegszeit.

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Stephan Hermlins 1948 erschienene Anthologie bringt erstmals ausschließlich von Schwarzen verfasste Lyrik aus den USA nach Deutschland – ein kühnes Unterfangen in der Nachkriegszeit.

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Mit diesem Buch, das jetzt wieder zugänglich gemacht wurde, leistete Stephan Hermlin Pionierarbeit. 1948, Deutschland war in Sektoren aufgeteilt, zwei deutsche Staaten sollten erst im Folgejahr gegründet werden, erschien eine Anthologie mit Lyrik aus den USA, verfasst ausschließlich von Schwarzen. Das war so kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein kühnes Unterfangen. Die deutsche Literatur, im Begriff, Anschluss an die Moderne zu finden, orientierte sich bevorzugt an weißen Literaten. Hermlin trat mit dem Anspruch auf, den Gegenbeweis anzutreten, dass Schwarze Dichtung epigonal sei. Aus dem Exil zurückgekehrt stand er politisch links und forcierte eine Literatur mit emanzipatorischem Anspruch. Um dem Nachdruck zu verleihen, kommentierte er die Gedichte und las sie unter dem Zeichen der Widerständigkeit. „Der Adel des echten Leides hat diese stolze Dichtung geprägt, die Dichtung einer uralten Rasse, die ihrer selbst und ihres Sieges im Siege der ganzen Menschheit gewiss ist.“ Dass Hermlin zur Überhöhung neigt, zeigt sich in seinen Übersetzungen, die anders als die Originale von Pathos nicht frei sind.

Mit Lyrik aus der Sklaverei in die Freiheit

Mit George Moses Horton, 1798 in North Carolina geboren, findet jener Autor Eingang ins Buch, der als erster Afroamerikaner gilt, dem in den USA eine Publikation vergönnt war. Er war Nebenerwerbsdichter und schaffte es, sich aus der Sklaverei freizukaufen, um nach Liberia zu ziehen, wo er irgendwann nach 1883 verstorben sein soll. Lesen und Schreiben brachte er sich gegen alle Widerstände selbst bei. Und so spricht er auch im Gedicht „Ich“ von den Schwierigkeiten eines Menschen, dessen „Genius im Herzen“ es schwer gemacht wurde, sich frei zu entfalten: „War er doch, schwer in Fesseln, nie bereit / Zum großen Flug.“ Ist dieses Gedicht von der Trauer umflort, unter Einschränkungen verharren zu müssen, und setzt auf Gottvertrauen („Vielleicht hilft mir der Herr“), ist Hermlin daran gelegen, bevorzugt Stimmen des Kampfes und des Aufbegehrens zu versammeln. Zu den bekannteren Namen zählen Richard Wright und Langston Hughes.

Hermlin griff, wie Eva Tanita Kraaz und Kai Sina, denen die Neuveröffentlichung zu verdanken ist, auf die Anthologie „Negro Caravan“, erschienen 1941 in New York, zurück, nur zwei Beiträge gehen als eigene Funde durch. Von achtzehn Dichterinnen und Dichtern sind insgesamt sechsunddreißig Texte abgedruckt, dazu kommen anonyme Folksongs aus der Überlieferung. Was einmal als mutige Entdeckungstour durch verdrängte Literaturgeschichte gegolten hat, nehmen wir heute wieder als notwendige Korrektur eingeschränkter Wahrnehmung. Und großartige Lyrik entdecken wir obendrein!

Dieser Artikel ist im Original unter dem Titel "Als das Schwarze Amerika schreiben lernte" am 25. Juli 2024 erschienen.

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