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Der Vorhang senkt sich

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DER ANSCHLUSS. Von Gordon Brook-Shepherd. Verlag Styria, Graz—Wien—Köln. 258 Selten, 24 Bilder. Preis 118.50 S.

Der langjährige Korrespondent des „Daily Telegraph“ ist auch nach seiner Heimkehr nicht aus dem Bannkreis Österreichs und seiner Probleme getreten. Im Oktober 1962 schloß er in London den dritten Band seiner Trilogie ab, die mit der österreichischen Odyssee („Furche“ Nr. 44/1957) begann und mit einer Biographie über „Engelbert Dollfuß“ („Furche“ Nr. 51/52/1961) fortgesetzt wurde. In dem vorliegenden Band senkt sich der Vorhang über die Tragödie der Ersten Republik. Er ist den Wochen zwischen dem Jahreswechsel 1937/38 und dem 13. März gewidmet; er hat den „Anschluß“ zum Thema. Nach der englischen Originalausgabe hat der Verlag Styria jetzt Gordon Brook-Shepherds Buch in deutscher Ausgabe herausgebracht.

Und das ist dankenswert. Ist das vorliegende Buch auch vornehmlich zur Aufklärung eines angelsächsischen Publikums geschrieben, das über die Vorgeschichte von Österreichs Untergang nie sehr gut informiert war, gibt es bei uns auch bereits eine Reihe von Darstellungen gerade jener Schicksalswochen, so muß jede Bereicherung der einschlägigen zeitgeschichtlichen Publikationen begrüßt werden. Noch dazu, wenn der Autor Gordon Shep-herd heißt. Wieder haben wir Gelegenheit, uns nicht nur von der Sachkenntnis dieses englischen Publizisten zu überzeugen, wir können uns auch an seiner FormulierkunÄt

erfreuen, die ihn eine Situation mit einigen festen Strichen treffend wiedergeben läßt. Wenn Shepherd zu der bekannten Rede Bundeskanzler Schuschniggs im Bundesrat, am 24. Februar 1938, schreibt: „Die Deutschen waren platt. Das Berchtesgadener Lamm hat plötzlich wie ein Löwe gebrüllt“, so kann die Stimmung jener Tage nicht treffender wiedergegeben werden. Und nach dem großen Finale: „Nicht jede erhobene Hand bedeutete auch ein erhobenes Herz“ (Seite 251).

Und wenn Gordon Shepherd in seiner Schlußbetrachtung schreibt: „Zehntausende jener geistig Wankelmütigen ... wurden jetzt zum erstenmal richtige Österreicher, als der Führer richtige Deutsche aus ihnen machen wollte...“ (Seite 281), so zeigt der Verfasser allein schon mit dieser Zwischenbemerkung, daß es ihm bei diesem Buch nicht um einen vordergründigen historischen Rapport ging, sondern daß er die letzten Abgründe der österreichischen Tragödie auszuloten bemüht war. Und hier traf er auf den inneren Zwiespalt zwischen Staat, Nation und Volkstum, der für jene Generation charakteristisch war, und der auch in der Brust namhafter Vertreter der österreichischen Unabhängigkeit damals noch nicht ausgekämpft war.

Das muß auch der Gegenwart eine Mahnung sein, die gewonnene Klarheit zu bewahren und nie mehr den Nebeln Raum zu geben.

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