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Wer liebt, ist gut

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Max Scheler lehrt, daß jeder für das sittliche Heil des Ganzen verantwortlich ist. Kraft und Seele der Solidarität ist für ihn die Liebe.

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Max Scheler lehrt, daß jeder für das sittliche Heil des Ganzen verantwortlich ist. Kraft und Seele der Solidarität ist für ihn die Liebe.

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Max Schelers (1874-1928) Solidaritätsgedanken stellen ei-. nen Gegenpol zu Karl Marx dar. Das Denken dieser klugen und zugleich auch schillernden Persönlichkeit hat überdies in der jüngsten Vergangenheit eine besondere Wirkung entfaltet. Der derzeitige Papst, Johannes Paul IL, hat als Professor Karol Wojtyla seine eigenen philosophischen und theologischen Auffassungen in der Weiterführung der Solidaritäts-Ideen Schelers ausgebreitet. Auch in seinen Lehrschriften zur katholischen Sozialverkündigung spielt der Schelersche Gedanke der Solidarität eine ganz zentrale Rolle.

Für den Wertethiker Max Scheler ist Solidarität die Verwirklichung personaler, tätiger Liebe. Denn: Gott hat die Welt schon geliebt, bevor er sie schuf. Und weil Gott die Liebe ist, ist auch der Mensch - Ebenbild Gottes -aufgerufen zur Liebe und gegenseitigen Verantwortlichkeit.

Es geht also bei Scheler zunächst darum, daran zu „glauben", daß die Welt in all ihrer Zerrissenheit und Nichtverstehbarkeit durchwärmt ist von der erlösenden Liebe Gottes. Das heißt: trotz aller scheinbaren Hoffnungslosigkeit kann der Mensch Vertrauen in die Welt „hineinstecken".

Mit Schelers Liebesgebot ist aber nicht Altruismus gemeint. Auch nicht die Neigung, dem andern nur helfen oder ihn bessern zu wollen. Im Sche-lerschen Sinn geliebt wird eine Person um ihrer selbst willen, nicht wegen ihrer Begabungen oder sonstigen Eigenschaften. Diese Liebe ist gänzlich unkalkuliert, hat nicht einen bestimmten „Zweck" oder geschieht um des eigenen Vorteils oder aus einer berechnenden Großherzigkeit heraus. Nur eine solche, uneigennützige Liebe schärft den Blick für das Wesen eines anderen Menschen.

Scheler behauptet außerdem, daß man immer nur eine Person, und nicht „das Gute" an sich lieben kann: „Es gibt kein Wollen des Guten um des Guten willen. Wer einem anderen hilft, nicht als ob ihm an dessen Wohl oder Heil etwas gelegen wäre, sondern, um ,gut' zu sein, wer die fremde Person als Gelegenheit ansieht, um gut zu handeln usw., der ist und verhält sich nicht gut, sondern nur so, daß er vor sich selbst gut erscheinen kann."

Nach Scheler kann niemand zur Liebe und zu gegenseitigem Wohlwollen (Solidarität) verpflichtet werden. Das kann nicht geboten und nicht verordnet werden. Dort, wo jemand geistig sensibel ist, wird er einen sinnvollen Akt der Liebe und So lidarität „setzen," ohne daß er dazu durch Gebote verhalten wird :..

Für Scheler hat Solidarität immer auch einen strikt universalen Zug. Er ist - jedenfalls in der Entwicklungsphase seines Denkens, in der er die ethische Bedeutung der Solidarität untersucht - ein überzeugter Theist (im Gegensatz zu dem überzeugten Atheisten Marx) und lehrt die Mitverantwortlichkeit jeder Person für das sittliche Heil des Ganzen.

Seine Solidarität verweist auf etwas Gemeinsames unter den Menschen, das immer schon da war. Die Menschen müssen zuerst nur wieder lernen, die große, unsichtbare Solidarität, die alle Lebewesen auf dieser Welt verknüpft, zu erfassen.

Die Seele der Solidarität, die Liebe, ist die eigentlich produktive Kraft im Leben. Eine Liebe, die nicht nur eine „moralische Einstellung" ist, sondern die Wurzel der Erkenntnis.

Eines hat jedenfalls auch schon Max Scheler zu Becht beklagt: Der Erwerb von Tugenden, wie positives Mit- und Füreinander, wird eher als Ballast empfunden. „Das Wort Tugend ist... so mißliebig geworden, daß wir uns eines Lächelns kaum erwehren können, wenn wir es hören oder lesen. Es genügt unserem Zeitalter der Arbeit und des Erfolges, von Tüchtigkeit zu reden"...

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