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Sprachmodelle

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Mit dem Erzählen will der junge, in Wien lebende Autor Michael Scharang (Jahrgang 1941) Schluß machen, um in seinem zweiten Buch mit Erzählungen zu beginnen. Mit Erzählungen worüber? Etwa darüber, daß ein Verantwortlicher einen Unverantwortlichen entläßt, oder: Wenn der Intellektuelle zwischen den Klassen steht, über den Besitzstand eines Null- bis Siebenjährigen. Wie man mit dem Dienstherrn verfahren möchte...

Vermutet man anfangs eine ironische Verdrehung von Sachverhalten, das heißt, Erzählungen über das Erzählen, so sieht man sich bald geprellt.

Erstens: Wer erzählt hier? Es ist ungewiß! Persönliche Fürwörter lassen in diesem spartanisch-schlichten Gerüst von Fakten und Zusammenhängen kaum auf erkennbare Subjekte schließen. Anonymität ist Prinzip. Man hat Sprachstrukturen vor sich, denen man anmerkt, daß es offenbar gar nicht darum geht, jemanden oder etwas als diesen oder das zu erkennen.

Zweitens: Es ist hier nirgends ein Spiel mit Symbolen festzustellen, keine Maskerade von Wörtern und Begriffen, kein Spiel der Phantasie. Scharang geht es in seinen überzeugendsten Texten in erster Linie um sprachliche Ver- und Abläufe. Thema: Die Distanz zwischen anonymer Person und sich verselbständigender Sprache.

Will er damit dem Leser eine Anleitung in die Hand geben, die eigene Stellung zur Sprache zu revidieren? Offenbar. Das Programm ist dabei denkbar schlicht wie ein sauberes politisches Programm sein soll. Das Nachsprechen ist Hilfsmittel, die abgebrauchten Phrasen und Wendungen wieder zu beleben, neu zu entdecken, sie in neue — in politische — Zusammenhänge zu rücken. Dabei wendet er das Sprachmaterial wie einen Kristall, durch dessen Facetten einfallende Strahlen immer neue Glanzlichter erzeugen. Dialektische Methoden sind Scharangs Stärke. Spannung resultiert aus den Sprachmechanismen seiner Prosatexte selbst. Er braucht dazu keine Kurzschlüsse zwischen den gesellschaftlichen Zuständen und seiner Existenz, seiner Sprache. Der Widerspruch zwischen dem Schreibenden und dem Handelnden spielt sozusagen als grundlegendes Moment mit.

Immer wieder stößt man in den Texten auf Scharangs „politisches Bekenntnis“: Der Zusammenhang zwischen richtigem Sprechen und logisch-konsequentem Denken ist Ausgangspunkt für die Eroberung der Sprache. Jedenfalls demonstriert er immer wieder, wie Sprache politische Modellfunktion entwickeln kann, in welche Richtung sie sich entfalten kann.

Freilich beschleicht den Leser ein seltsames Gefühl ob des permanenten Fehlens von Phantasie. Sie hat in Scharangs Konzept für ein politisches Sprachmodell keine Funktion. Er weicht ihr aus, als fürchtete er, sie könnte seine kargen Strukturen verschleiern, ihnen die Sachlichkeit nehmen. Es scheint jedenfalls, als befinde sich Scharang permanent auf der Flucht vor der Art politischer Literatur, die für den Schreibenden ein Ersatz für folgerichtiges Handeln darstellt, die — wie Brecht über Lenin sagt — zwar „anderes“ mitteilt, aber dieses „anders“ tut. Seine kon-zisen Texte beweisen, daß er vor allem dieser Literatur ausweicht, in der Sprache und Inhalt zum gefälligen Schein sublimiert werden.

SCHLUSS MIT DEM ERZAHLEN UND ANDERE ERZÄHLUNGEN. Von Michael Scharang. Verlag Luchterhand, Neuwied-Berlin.

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