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Komisch vor ernstem Hintergrund

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Christopher Paul Curtis erhielt für seinen Kinderroman „Die Watsons fahren nach Birmingham – 1963“ den Buchpreis von FURCHE, Stube und Institut für Jugendliteratur.

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Christopher Paul Curtis erhielt für seinen Kinderroman „Die Watsons fahren nach Birmingham – 1963“ den Buchpreis von FURCHE, Stube und Institut für Jugendliteratur.

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Warum sie von allen in ihrer Umgebung bloß „die komischen Watsons“ genannt werden? Vermutlich, weil in ihrem Alltag immer ein bisschen mehr das Chaos herrscht als anderswo, weil mitunter lauter gezankt und gestritten wird, wenngleich sich letztlich alle miteinander furchtbar lieb haben. Und dann sind die Watsons auch eine afroamerikanische Familie – das macht in Flint, Michigan, und in den USA der 1960er Jahre natürlich einen Unterschied. Zumal wenn es draußen gefühlte „hundertachtundfünfzig Millionen Grad unter Null hat“, sich alle unter vielen Decken zusammenkuscheln und Momma Wilona verkündet, sie hätte vielleicht doch besser Mo Henderson heiraten und in Birmingham, Alabama, bleiben sollen. Dann läuft nämlich Vater Daniel zu humoristischer Hochform auf und erzählt eine seiner So-hab’-ich-eure-Mutter-rumgekriegt-Geschichten, die darauf abzielt, dass alle Kinder laut losprusten, aber nebenbei auch deutlich machen will, warum sie hier im Norden hocken. „Aber klar“, fiel Dad [seiner Frau] ins Wort. „Da unten lachen sie einmal pro Minute. Mal nachdenken, wo war doch gleich diese Toilette »Nur für Farbige« in der Stadt?“

Weil die Heizung immer noch nicht funktioniert und weil der zwölfjährige Byron Watson nach wiederholtem Schulschwänzen und einigen Raufereien sich nun obendrein die Haare wie ein Kleinkrimineller gefärbt hat, reisen die Watsons dann doch nach Birmingham, Alabama. Dort soll die Großmutter dem Jungen so was wie Anstand und Respekt beibringen.
Damit kippt in diesem über weite Strecken hochkomischen und aus der Sicht des jüngeren Bruders Kenneth erzählten Familienroman jäh die Stimmung. Denn Christopher Paul Curtis lässt seine fiktiven Watsons Augenzeugen historisch bitterer Momente der amerikanischen Geschichte werden. Während die Bürgerrechtsbewegung wächst und Martin Luther King seine unvergessliche Rede hält, werden im Birmingham im Jahr 1963 viele rassistisch motivierte Attentate verübt. Und am 15. September sterben vier junge Mädchen bei einem Bombenanschlag in der Baptisten-Kirche in der Sixteenth Avenue – Addie Mae Collins, Denise McNair, Carole Robertson und Cynthia Wesley. Ihnen ist dieses Buch gewidmet. Und allen, die weiterhin unerschrocken für ihre Rechte und gegen die Rassentrennung kämpften.

„Die Watsons fahren nach Birmingham – 1963“ ist erstmals vor 30 Jahren erschienen. Die Neuausgabe verdankt sich einerseits wohl dem leider immer noch schwelenden Rassismus, aber auch verstärktem gesellschaftlichem Engagement und Bewegungen wie „Black Lives Matter“. Als Roman, der schon 1994 ein historisches Setting vorgab und über den genauen Blick auf Ungerechtigkeiten jeglicher Art verfügte, ist er heute so frisch wie eh und je. Und einer der schönsten Romane über Kindheit und Familie. Das bestätigen die in der Neuausgabe beigefügten schwärmerischen und hymnischen Nachworte von Jacqueline Woodson, Kate DiCamillo, Varian Johnson und Jason Reynolds.

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