Die Ausnahmeerscheinung

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Oliver Hilmes hat die bereits sechste Biografie über die schillernde Persönlichkeit der Alma Mahler-Werfel geschrieben, in der trotzdem wieder Neues erzählt wird.

Oliver Hilmes' Biografie Alma Mahler-Werfels ist nicht nur das maßgebende Werk, sondern betreibt zugleich eine radikale Entmythifizierung. Am Mythos "Alma Mahler-Werfel" hat sie selbst am eifrigsten mitgearbeitet, nicht zuletzt durch ihr Buch "Mein Leben": Man erlebt Alma als Denkmal ihrer selbst, der Sockel von Genies in Anbetung umlagert. Ihren jeweiligen Männern (Mahler, Gropius, Kokoschka, Werfel) ist sie ein milde Muse und eine aufopfernde Förderin und Bewahrerin deren Werkes. Gibt es was zu durchleiden, absolviert sie dies in edler Einfalt und stiller Größe. In diesem herrlichen autobigrafischen Konstrukt hat nun Oliver Hilmes ein paar Perspektiven zurechtgerückt.

Für eine junge Frau der Jahrhundertwende war Alma Mahler-Werfel sicher eine Ausnahmeerscheinung. Aufgewachsen in einem Künstlermilieu, verkehrte sie innerhalb der damaligen Avantgarde, war musisch überdurchschnittlich gebildet, temperamentvoll und kümmerte sich wenig um gesellschaftliche Konventionen. Zwar waren Flecken auf "Tugend", "Anstand" oder "Ehre" einer Frau durchaus noch Gründe, ins Wasser zu gehen, nicht jedoch für Alma. Auf solchen Säulen bürgerlichen Selbstverständnisses platzierte sie höchstens das Radar ihrer erotischen Aufmerksamkeit, frei fliegende Männchen von Bedeutung zu orten. Waren die Männchen nicht ganz so frei, weil verheiratet (Wotruba) oder durch ein Priestergelübde (Hollnsteiner) gebunden: Na, wenn schon...

Die Konventionen holten Alma zunächst in ihrer Ehe mit Gustav Mahler ein: Mahler verstand sich als klassischer pater familias des 19. Jahrhunderts und drängte Alma in die Rolle, die für höhere Töchter vorgesehen war: die der Mutter und des gesellschaftlichen Ornaments. Ihre Kreativität - ihre eigenen Kompositionen - hatte sie zugunsten ihres Mannes aufzugeben, ihre Energie auf gemäßigte Salontemperatur zu drosseln. Nicht wenigen dieser Frauen attestierte Freud später Hysterie, und auch Oliver Hilmes beschäftigt sich in einem ganzen Unterkapitel mit Almas Hysterie, während die diversen Neurosen, Zwangskrankheiten und Fetischismen (zum Beispiel Kokoschkas Lederpuppe) von Almas Partnern eher am Rande bleiben. Aber die waren ja auch kreativ und vor allem Männer.

Unbedingt erwähnenswert sind Oliver Hilmes' Ausführungen zu Almas Antisemitismus. Der war zwar aus den Interviews mit ihrer Tochter Anna bekannt, das wahre Ausmaß von Almas Ressentiments überrascht doch.

Ihr Judenhass war, wie auch ihr politisches Weltbild, schwammig und diffus; sie setzte ihn im Geschlechterkampf gegen ihre - jüdischen - Partner ein, wenn auch nicht gegen Mahler, so doch gegen Werfel. Andererseits dachte sie nicht daran, sich nach dem Anschluss Österreichs von Werfel zu trennen, obwohl ihr das leicht möglich gewesen wäre. Sie folgte ihm in die Emigration. Dass Almas Antisemitismus jedoch keinen Schaden angerichtet hätte, kann man nicht mehr behaupten: Als Wassily Kandinsky Arnold Schönberg die vakante Stelle des Direktors der Bauhaus-Musikhochschule anbot, fragte Schönberg Alma um Rat; sie war immerhin mit dem Bauhausarchitekten Walter Gropius verheiratet gewesen. Alma setzte nun das Gerücht in die Welt, "Kandinsky und Walter Gropius seien wüste Antisemiten" (Hilmes). Schönberg sagte brieflich ab. Der ahnungslose Kandinsky zeigte das Schreiben Gropius, der die Urheberin der Intrige sofort erkannte: "Das ist Alma."

Zu Rupert Koller, dem ersten Ehemann Anna Mahlers, hätte man ergänzen können, dass die Mahler-Werfels mit den Kollers freundschaftlich verbunden waren. Mutter Broncia Koller war eine anerkannte Malerin, der Vater Hugo Koller ein wichtiger Förderer der Secession; sein Bild, gemalt von Egon Schiele, befindet sich in der Österreichischen Galerie im Belvedere. Diese sehr lesbare Biografie ist übrigens die sechste über die Sammlerin bedeutender Männer, während Leben und Werk von Frauen wie Veza Canetti oder Gina Kaus noch in keiner einzigen selbstständigen Biografie ihren Niederschlag gefunden haben. Doch kann dies kein Vorwurf an Oliver Hilmes sein, höchstens ein Wink...

Witwe im Wahn

Das Leben der Alma Mahler-Werfel

Von Oliver Hilmes

Siedler Verlag, München 2004

477 Seiten m. zahlr. Abb., geb., Euro 24,70

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