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Der Weg zurück

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Der ehemalige Kulturattache an der polnischen Botschaft in Paris ist durch seinen Essayband „Verführtes Denken” weithin bekannt geworden. Durch seine unbestechliche Analyse der geistigen Situation des Intellektuellen im Herrschaftsbereich des Sowjetimperiums wurde er — auch nach seinem Absprung — zum Sprecher jener Generation junger Schriftsteller und Künstler, die — zum Teil vom Marxismus kommend — im Heimatland Miloszs das Experiment vom „menschlichen Sozialismus” erzwangen — und heute tagtäglich verteidigen. Mehr noch als jene Essaysammlung hat uns aber seinerzeit schon „Das Gesicht der Zeit” angesprochen, für das Czeslaw Milosz 1953 zu Recht mit dem Europäischen Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Es ist dies ein Schlüsselroman. Der junge politische Ausbildungsoffizier Piotr Kwinto, der mit der 1., im Verbände der Roten Armee kämpfenden und der Lubliner Regierung verpflichteten sogenannten „Kosziuszko- Division” in sein Vaterland zurückkehrt, ist niemand anderer als der Verfasser. Kwintos Erlebnisse und Begegnungen in den ersten Monaten und Jahren „Volkspolens” sind die Miloszs. Einem Kenner der polnischen Situation entschlüsseln sich die Namen der auftretenden Akteure unschwer. So endet dieses Buch auch mit dem Flug Kwintos ins Ausland, von dem er nicht zurückkehren wird …

Ein Musterbeispiel für „engagierte Literatur” also. Kein Wunder, wenn einem echten Erzähler, der sich im vergangenen Jahrzehnt immer nur engagieren mußte — einmal nach dieser, einmal nach der anderen Richtung — der Wunsch ankommt, einmal zu erzählen, n u r zu erzählen.

So geht Milosz also den Weg zurück in jene Gefilde, in denen allein ein aufrechter Mensch der Generation, die heute zwischen 30 und 40 Jahren steht, das Privilegium, sich nicht engagieren zu müssen, in Anspruch nehmen konnte. Er geht den Weg in das Reich der Kindheit. Er trifft wieder ein im geheimnisvollen Tal der Issa, die nahe der alten polnisch-litauischen Grenze ihre Wasser trägt.

Aus Piotr Kwinto wird diesmal der Knabe Thomas. Und wieder ist es niemand anderer als, diesmal das Kind, Czeslaw Milosz, das durch die von Mythen und Sagen erfüllte Landschaft streift, seine Kampfspiele spielt und den Geschichten der Großen lauscht. Und der Geschichte. Denn selbst in das stille Tal der Issa wirft diese ihre frühen Schlagschatten. Aber das ist diesmal nicht das Thema. Dieses heißt Sommer und Winter, Wald und Feld und die Menschen nahe der Ackerkrume. Wenn Milosz in seinen Naturschilderungen auch nicht die Gewalt seines Landsmannes, des „Waldgängers” Sergiusz Piasecki (vgl. „Furche” Nr. 31) erreicht, so, ist es der feine Ton der Elegie, der anspricht. Es führt kein Weg zurück. Nicht in das Reich der Kindheit. Und auch nicht in das Tal der Issa. Liegt dieses doch in jenen Breiten, die nach der gewaltsamen Verschiebung Polens auf der Landkarte der UdSSR eingegliedert wurden. Verlorene Heimat… Vergessen wir es nicht: die Trauer um sie gibt es auch bei zehntausenden Menschen östlich der Oder und Neiße.

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