Zum Kreislauf von Leben und Tod

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Das Thema, dem sich Lisa Truttmann in "Tarpaulins" widmet, klingt einigermaßen exotisch. Und doch gehört ihr Filmessay zu den eindrücklichsten heimischen Kinoarbeiten der laufenden Saison. Truttmann, die nach ihrem Studium an der Angewandten in Wien zwei Jahre lang in Los Angeles Film/Video studieren konnte, fielen nach ihrer Ankunft im Westen der USA zahlreiche, in farbige Zeltplanen verpackte Häuser auf.

Es handelte sich dabei aber nicht um die künstlerische Massenproduktion eines Christo-Epigonen, sondern um eine der zivilisatorischen Notwendigkeiten, denen sich eine urbane Gesellschaft gegenübersieht.

Denn viele der kalifornischen Häuser sind ganz oder teilweise aus Holz gebaut, was jedenfalls im Lauf der Zeit auch die Termiten auf den Plan ruft, die die Substanz dieser Gebäude buchstäblich zerfressen können. Insbesondere wenn Immobilien verkauft werden, verlangen Kreditinstitute, dass sie termitenfrei sein müssen -was zur Folge hat, dass diese Gebäude mittels des Schädlingsbekämpfungsmittels Sulfurylfluorid begast werden.

Verhüllte Skulpturen

Zu diesem Behuf werden die Immobilien mit wasserdichten Zeltplanen umhüllt - auf englisch "Tarpaulins" - und begast. Lisa Truttmann und ihr Filmteam haben unzählige dieser Umhüllungen ausfindig gemacht, die das Skulpturenhafte der darunter liegenden Gebäude erst richtig zur Geltung bringen. Auch die eigentlich praktische Notwendigkeit der Verhüllung weist im Nu auf existenzielle Deutungen hin: Mitten in wohlgeordenten Nachbarschaften stehen diese umzelteten Häuser als Fremdkörper da, die Beschaulichkeit des Alltags wird unterbrochen -und lässt Deutung ins Dunkle wie ins Helle zu.

Truttmann selber greift in ihrem Filmessay etwa das Begriffspaar heimlich/unheimlich auf, über das sie angesichts dieser auch ästhetischen Verbrämung eines Tötungsvorgangs reflektiert.

Es ist großartige Filmkunst, aus der scheinbaren Banalität einer bauhygienischen Maßnahme unerahnte existenzielle Dimensionen zur Sprache zu bringen. Denn es geht nicht nur um die Ästhetik, die etwa aus kitschigen Märchenhäuschen für eine Weile umhüllte Skulpturen macht.

Denn Termiten, erzählt Truttmann oder lässt ihre Protagonisten -Kammerjäger & Co. - im Film erzählen, sind keine Zivilisationszerstörer, als die sie hingestellt werden könnten. Termiten haben in einer funktionierenden Ökologie wichtige Aufgaben, indem sie aus umgestürzten Bäumen kleinteilige Materialien machen, die im Kreislauf des Wachsens und Werdens unabdingbar sind.

Doch woher sollen die Termiten wissen, dass die Häuser, die sie da zernagen, keine toten umgestürzten Bäume sind? Im Nu wird so die Frage nach der Natur und deren Behandlung durch die Zivilisation virulent. Lisa Truttmann thematisiert und unter streicht diese Fragen in "Tarpaulins" gleichermaßen. Sie filmt zerfressene Holzdielen ebenso wie sie Termiten bei diesem Zerfressen beobachtet: ein Kreislauf von Leben und Tod, in dem auch den Schädlingen nicht das Attribut "Ungeziefer" umgehängt wird.

Ein Film, der aus einer scheinbaren Banalität ein ganzes Bündel an Reflexionen und Assoziationen erschafft. Ein -wie es sich für einen Filmessay ziemt -ebenso subjektives wie unabgeschlossenes Unterfangen, das den Betrachter als Weiterdenkenden und -fragenden zurücklässt. Wer hätte geahnt, dass all dies aus ein paar Zeltplanen, welche die Gegend -je nach Sicht -verschönern oder verschandeln, herauszuholen wäre?

Tarpaulins A/USA 2017. Regie: Lisa Truttmann. Filmgarten. 78 Min.

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