Die Gleichung Ihres Lebens.jp - © Filmladen

„Die Gleichung ihres Lebens“: Wissenschaft zwischen Macht und Abhängigkeit

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Das Drama von Anna Novion führt vor Augen, dass der Wissenschaftsbetrieb keinesfalls der sprichwörtliche Elfenbeinturm ist.

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Das Drama von Anna Novion führt vor Augen, dass der Wissenschaftsbetrieb keinesfalls der sprichwörtliche Elfenbeinturm ist.

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Marguerite fühlt sich an der École normale supérieure wie daheim. In Hausschuhen läuft die Mathematikstudentin durch die Flure der renommierten Pariser Universität. Doch die anberaumte Besprechung mit Professor Werner fällt aus – wegen eines Doktoranden aus Oxford. Irritierend, dass dieser Lucas ebenfalls zu der „Goldbach’schen Vermutung“ forscht. Schickt ihr Doktorvater einen weiteren Kandidaten ins Rennen?

Fesselnd führt „Die Gleichung ihres Lebens“ vor Augen, dass der Wissenschaftsbetrieb keinesfalls der sprichwörtliche Elfenbeinturm ist. Es handelt sich um eine Institution der Macht und der Abhängigkeitsverhältnisse. Und die durchleuchtet die französisch-schwedische Regisseurin Anna Novion anhand der Entwicklung ihrer 25-jährigen Protagonistin Marguerite eindrücklich. Facettenreich entfaltet sie das Spannungsverhältnis einer Gemeinschaft von nur scheinbar Gleichen, deren Zusammenarbeit zugleich auf Hierarchien und Ausbeutung basiert. Sie wird von individuellen Interessen, Narzissmus und ökonomischen Verflechtungen genährt. Das studentische Bedürfnis nach paternalistischer Fürsorge wird letztlich enttäuscht. Marguerite betrachtet Professor Werner als väterlichen Mentor, der selbstlos ihre Karriere befördert, während dieser durch ihre Forschung seinen Ruhm mehren will. Als sie einen Fehler macht, steht ihr Konkurrent Lucas schon in den Startlöchern. Trotzig und enttäuscht verlässt Marguerite daraufhin die Alma Mater.

Den Weg ihrer Ablösung erkundet der Film nuanciert. Indem er seine Protagonistin (authentisch: die schweizerisch-französische Schauspielerin Ella Rumpf) in eine Schule der Empfindsamkeit schickt, gewinnt er ihrer Selbstfindung auch komische Töne ab. Denn Marguerite geht in sozialen Belangen nicht gerade zimperlich zu Werk. Unverhohlen spricht sie aus, was sie denkt. Die Regisseurin zeichnet deren Habitus mit frischem Strich und lebensecht. Es steht ihrem flüssig erzählten Film gut an, dass er zeigt, wie die bestehenden Machtverhältnisse auf die Protagonisten zurückwirken. Denn Marguerite entkommt den Widersprüchen des Wissenschaftsbetriebs nicht. Als sie das Thema ihrer Dissertation wieder aufnimmt und den Konkurrenten Lucas geschickt als Mitstreiter gewinnt, scheint es, als würde in beider Genie und körperlich-seelischem Gleichklang die „blaue Blume“ Gestalt annehmen. Aber Marguerites Forschungselan bleibt weiter angetrieben von gekränktem Stolz, Rivalität und Gefühl von Grandiosität.

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