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Ökosozialer Wandel und Demokratie: Geht das noch zusammen?

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Die Nichtnachhaltigkeit des westlichen Lebensmodells liegt auf der Hand. Zugleich wächst der gesellschaftliche Protest gegen jede Transformation. Was nun? Die Bücher "Demokratie und Revolution" sowie "Unhaltbarkeit" geben Denkanstöße.

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Die Nichtnachhaltigkeit des westlichen Lebensmodells liegt auf der Hand. Zugleich wächst der gesellschaftliche Protest gegen jede Transformation. Was nun? Die Bücher "Demokratie und Revolution" sowie "Unhaltbarkeit" geben Denkanstöße.

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Wie man eine sozial-ökologische ­Transformation der Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit organisiert, kann man für die größte Herausforderung unserer Zeit halten. Die Heftigkeit des aktuellen Streits über das EU-Renaturierungsgesetz zeigt, worum es geht: nämlich nicht um formale Zuständigkeiten, sondern um die gesellschaftliche Frage, ob „Normalität“ herrschen soll oder ein Bewusstsein davon, dass diese selbst infrage steht. Oder zugespitzt: ob der vielzitierte Hausverstand wichtiger ist als unerfreuliche wissenschaftliche Erkenntnisse.

In dieser Lage kommen zwei Bücher gerade recht, die die Möglichkeiten und Grenzen einer demokratischen und wirkungsvollen Transformation ausleuchten. Die Historikerin Hedwig Richter und der Journalist Bernd Ulrich – bis 2023 stellvertretender Chef­redakteur der Zeit – argumentieren in ihrem Buch „Demokratie und Revolution“, dass grundlegender ökologischer Wandel sich demokratisch organisieren lässt. Ingolfur Blühdorn, der an der Wiener Wirtschaftsuniversität Soziologie lehrt, analysiert hingegen die titelgebende „Unhaltbarkeit“ westlicher Gegenwartsgesellschaften. Er liefert Argumente, warum die Hoffnung auf einen gesellschaftlichen Wandel zur Nachhaltigkeit oft auf falschen Voraussetzungen beruht.

Richter und Ulrich beschreiben die Transformation zur Nachhaltigkeit als „Revolution in der Demokratie“ und hoffen auf „Wege aus der selbstverschuldeten ökologischen Unmündigkeit“. Eine ihrer zentralen Thesen lautet: „Radikale Veränderungen, die ökologisch notwendig sind, können innerhalb einer Demokratie stattfinden.“ Mit großer Verve legen sie dar, was Gesellschaften daran hindert, angemessen radikal auf die radikalen ökologischen Herausforderungen zu reagieren. Im Zentrum der Argumentation steht das „Zumutungs­losigkeitsversprechen“ der herrschenden Politik. Diese „Ideologie der Zumutungslosigkeit“ führe dazu, dass Politik sich vor allem darum bemühe, das Wahlvolk nicht zu verprellen, statt wirkungsvollen Klima- und Artenschutz zu betreiben.

Die tiefsitzende Orientierung an der Rettung der Normalität verhindere den Wandel zur Nachhaltigkeit. Dabei sei klar, dass die heute herrschende gesellschaftliche Normalität das Kernproblem der Nichtnachhaltigkeit sei. „Die Normalität ist kein Garant gegen die Katastrophe, im Gegenteil: Sie ist deren Quelle“, heißt es hier. Dass unser Wohlstand auf nicht-nachhaltigen und (beim Umgang mit Tieren) oft grausamen Praktiken beruht, wird hier schlüssig dargelegt. „Das Weiter-So“, schreiben Richter und Ulrich, „ist eine apokalyptische Ideologie.“ In der Tat – und die höchst ­bemerkenswerte gesellschaftliche Verdrängungsleistung, die hier am Werk ist, wird in „Demokratie und Revolution“ überzeugend analysiert.

Was brauchen Menschen?

Weit weniger überzeugend ist jedoch die Lösung, die die beiden Autoren präsentieren. „Ohne Verzicht an der einen Stelle“, schreiben sie, „sind neue Freiräume an anderer Stelle nicht mehr zu schaffen. Verzicht ist zu einer ehernen Voraussetzung der Freiheit und der westlichen Selbstbehauptung geworden.“ Sie plädieren dafür, „danach zu fragen, was Menschen brauchen, um ein freies, selbstständiges, gutes, partizipatives Leben führen zu können, nicht danach, was möglicherweise noch fehlen könnte und wo man noch mehr materielle Ansprüche stellen sollte.“ Dieser Wechsel der Denkrichtung ist zunächst ein plausibler Vorschlag – gleichzeitig lauert hier ganz offensichtlich die komplizierte Frage danach, wer denn bestimmt, was die Menschen brauchen.

Vor allem fragt man sich dies: Wie naiv ist die Überlegung, in kurzer Zeit erfolgreich eine demokratische Revolution anzuzetteln, die wesentlich auf Einsicht, Umkehr und Verzicht setzt? Nach der Lektüre von Ingolfur Blühdorns Buch muss man sagen: extrem naiv. Der Soziologe lässt sich auf tagespolitische Debatten ebenso wenig ein wie auf moralische Haltungsnoten. Auch Zahlen zu ökologischen Veränderungen sucht man bei ihm vergeblich. Im Zentrum seiner Überlegungen steht die grundsätzliche (Nicht-)Nachhaltigkeit westlicher Gesell­schaften.

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