Gegen das "Verschwindenlassen"

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Es ist besser eine Kerze anzuzünden, als die Finsternis zu beklagen" - dieses alte Sprichwort begleitete amnesty international (ai) von Anfang an:Vor 40 Jahren entzündet Peter Benenson mit seinem Appellfür die "Vergessenen Gefangenen" die amnesty-Kerze.

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Es ist besser eine Kerze anzuzünden, als die Finsternis zu beklagen" - dieses alte Sprichwort begleitete amnesty international (ai) von Anfang an:Vor 40 Jahren entzündet Peter Benenson mit seinem Appellfür die "Vergessenen Gefangenen" die amnesty-Kerze.

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Sie können Ihre Zeitung an jedem x-beliebigen Tag der Woche aufschlagen, und sie werden in ihr einen Bericht über jemanden finden, der irgendwo auf der Welt gefangengenommen, gefoltert oder hingerichtet wird, weil seine Ansichten oder Religion der Regierung nicht gefallen." Mit diesen Worten begann ein Artikel, der am 28. Mai 1961 im Observer in Großbritannien erschien. Geschrieben wurde er von einem Anwalt, der es nicht mehr hinnehmen wollte, dass Menschen allein ihrer Einstellung wegen verfolgt werden.

Was der Anwalt Peter Benenson nicht ahnen konnte: Sein Aufruf stieß auf enorme Resonanz. Dem Appell folgten innerhalb eines Monats tausende Menschen - der Grundstein für amnesty international war gelegt.

Die Geschichten rund um die Entstehung der Organisation beginnen meist in der Londoner U-Bahn. Die Lektüre der Zeitung auf dem Weg ins Büro ließ gesunden Zorn bei Peter Benenson aufkommen: Er las eine Meldung über die Verhaftung zweier portugiesischer Studenten, die in einem Cafe in Lissabon auf die Freiheit angestoßen hatten. Dieser Vorfall veranlasste den Juristen, den Appell "The Forgotten Prisoners" zu veröffentlichen. Benenson beklagte den Widerspruch zwischen den in der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" garantierten Rechten und dem Machtmissbrauch von Regierungen jedweder politischen Ausrichtung.

Freilich: Benenson hatte schon zuvor Erfahrungen mit menschenverachtenden Regimen gemacht und er hatte für den Artikel im Observer bereits ein Konzept im Kopf, wie engagierte Menschen vorgehen könnten: In kleinen Gruppen sollten sie sich um das Schicksal von jeweils drei politischen Gefangenen aus Ländern mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung kümmern und durch öffentlichen Druck auf die verantwortliche Regierung die Freilassung der Häftlinge durchsetzen.

Dieses Konzept war von Erfolg gekrönt: Schon innerhalb der ersten zwölf Monate nach dem Aufruf für die vergessenen Gefangenen bildeten sich weltweit etwa 50 Gruppen, nur zwei Monate später kam es zum ersten internationalen Treffen, an dem Delegierte aus Belgien, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Irland, der Schweiz und den USA teilnahmen.

Alle Rechte für alle Heute zählt amnesty international über 1,2 Millionen Mitglieder in 140 Staaten der Welt. In 56 Ländern - darunter auch in Österreich - bestehen nationale Sektionen, in 23 Ländern sind solche im Aufbau. Über 7.500 Gruppen betreuen derzeit mehr als 3.600 Opfer von Menschenrechtsverletzungen.

In den vergangenen 40 Jahren hat sich die Welt verändert und mit ihr auch amnesty international: Aus Gewissensgefangenen - wie Vaclav Havel - wurden Präsidenten. Ehemalige Machthaber - wie Augusto Pinochet - stehen heute unter Anklage. ai hat in dieser Zeit Höhen - wie die Verleihung des Friedens-Nobelpreises im Jahr 1977 - und Tiefen erlebt. So verließ 1966 der Gründer Peter Benenson die Organisation, weil er die Unabhängigkeit nicht mehr hundertprozentig gewahrt sah. Er kehrte erst in den achtziger Jahren zurück und blieb bis heute ein kritischer Beobachter.

Vor allem aber wandelte sich die Gefangenenhilfe- zu einer Menschenrechtsorganisation. Stand zunächst die Unterstützung von politischen Häftlingen, die weder Gewalt angewandt, noch dazu aufgerufen hatten, im Mittelpunkt der Tätigkeit, so wurde das Arbeitsgebiet in den vergangenen Jahrzehnten sukzessive ausgedehnt. Seit der ersten großen Kampagne gegen Folter im Jahr 1973 setzte sich amnesty international bedingungslos für deren Abschaffung ein. Eine zweite Anti-Folter-Kampagne zeitigte mit der Verabschiedung der UN-Konvention gegen Folter 1984 einen durchschlagenden Erfolg. Die uneingeschränkte Ablehnung der Todesstrafe und die Arbeit für Flüchtlinge wurden in das sogenannte "Mandat" aufgenommen. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs weitete amnesty international ihre Ausrichtung auf alle 30 Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus: Von den politisch-bürgerlichen bis zu den sozialen und kulturellen Rechten wird deren Durchsetzung heute propagiert: Alle Rechte für alle.

Die Konflikte am Balkan und in Zentralafrika in den neunziger Jahren machten schließlich deutlich, dass Menschen nicht mehr nur aufgrund ihrer Einstellung sondern auch wegen ihrer Herkunft verfolgt werden. Gemeinsam mit den Machtverschiebungen im Zuge der Globalisierung sind dies die Herausforderungen an die Menschenrechtsbewegung der Zukunft.

Vor diesem Hintergrund machte amnesty international zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Jahr 1998 im Rahmen einer weltweiten Kampagne auf die Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte aufmerksam: Politische Partizipation, Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind eng verknüpft mit der Einhaltung sozialer Rechte. Und demokratische Fassaden dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es um die Menschenrechte in manchen Staaten immer noch schlecht bestellt ist.

Zum 40. Geburtstag der Organisation bekräftigt amnesty international zeitlose Forderungen: Im Rahmen der Kampagne "Aktiv gegen Folter" zeigt die Menschenrechtsorganisation auf, dass systematische Folter und Misshandlung in über 150 Ländern noch immertraurige Realität sind. Zwar sind diese gravierenden Menschenrechtsverletzungen in vielen internationalen Abkommen geächtet und in nationalen Verfassungen verboten. "Folter wird aber erst dann der Vergangenheit angehören, wenn die rechtlichen Grundlagen mit Leben erfüllt sind", erklärt der Generalsekretär von ai-Österreich, Heinz Patzelt.

Vor allem Angehörige ethnischer Minderheiten oder sozialer Randgruppen laufen Gefahr, von Polizei und Sicherheitskräften misshandelt zu werden. "Folter beginnt im Kopf. Sie beginnt damit, dass wir Menschen als zweitrangig und minderwertig einstufen. Schläge, Tritte oder Elektroschocks sind dann die weitere Folge", unterstreicht Patzelt. "Erst wenn Diskriminierung undenkbar geworden ist, wird die Folter tatsächlich ausgelöscht sein."

Die Kampagne setzt sich deshalb zum Ziel, diese Zusammenhänge bewusst zu machen. Gleichzeitig fordert ai von Staaten ein, ihren Verpflichtungen aufgrund internationaler Abkommen nachzukommen: Die Folter muss uneingeschränkt verurteilt werden, Schutzmechanismen für Gefangene, eine verbesserte Ausbildung für Sicherheitsbeamte und schließlich die konsequente Strafverfolgung von mutmaßlichen Folterern sind die Hauptanliegen von amnesty international.

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