Euro - und wie weiter?

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Es gibt die begründete Hoffnung, daß die Währungsunion auch die politische Integration vorantreiben wird.

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Es gibt die begründete Hoffnung, daß die Währungsunion auch die politische Integration vorantreiben wird.

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Von einem wahrhaft vereinten Europa werde man erst sprechen können, wenn die Italiener "unser Chartres", die Briten "unser Florenz", die Franzosen "unser Dresden" sagen würden. So äußerte sich sinngemäß die österreichische Ordensfrau Gertraud Leitner bei einem europäischen Jugendtreffen in Prag - im August 1992, also nicht einmal ein Jahr nach dem Ende der Sowjetunion und immerhin noch mehr als zwei Jahre vor dem EU-Beitritt Österreichs, Schwedens und Finnlands.

Das könnte heute noch genauso gesagt werden, hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Denn nach wie vor sind wir Europäer natürlich weit davon entfernt, in einer Weise europäisch zu empfinden, die ein solches transnationales Sprechen von national-identitätsstiftenden Kulturheiligtümern ermöglichte. Dabei geht es, wohlgemerkt, ja nicht nur darum, daß etwa Österreicher sich schwer täten von "unserem Big Ben" zu sprechen, sondern wir würden uns wohl auch dagegen verwahren, daß Schweden stolz auf "unser Goldenes Dachl", Iren auf "unser Salzburg" oder Portugiesen auf "unsere Hofburg" blickten.

Was den Fortgang des europäischen Integrationsprozesses betrifft, so läßt sich der markanteste Unterschied zur Situation von 1992 (vom Beitritt der drei genannten Länder abgesehen) in ein Wort fassen: Euro. Die überwiegende Mehrzahl der EU-Mitgliedsländer (elf von 15) hat seit Anfang dieses Jahres de facto eine Einheitswährung, die uns bis 2002 noch im vertrauten nationalen Gewande als Schilling, Franc, Gulden ... begleiten, ab 1. Jänner 2002 aber unverhüllt in ihrer wahren Gestalt (in Form von Euro-Scheinen und -Münzen) stets präsent sein wird.

Das ist die europäische Realität anno 1999: In einem - zugegeben: zentralen - Bereich ist die Einigung (fast) perfekt; auf geistig-kultureller und - nicht zuletzt deswegen - auch auf politischer Ebene kann davon keine Rede sein.

Viele erfaßt angesichts dieses Tatbestands tiefes Unbehagen. Es sind beileibe nicht nur finstere Nationalisten und dumpfe Stammtischheroen, die meinen, man habe hier das Pferd verkehrt herum aufgezäumt. Wie soll, so fragen immer wieder ernstzunehmende Skeptiker, eine Währungsunion ohne politische Union denn je funktionieren; und sie führen die unbestreitbaren massiven Differenzen zwischen den EU-Ländern ins Treffen, die nahezu alle Bereiche umfassen: Mentalität, das Selbstverständnis als Nation, die Rolle der nationalen Währung für dieses Selbstverständnis, Fragen der politischen Kultur, geistig-kulturelle Traditionen und dergleichen mehr.

Die besten Argumente pro & contra Euro sind auf unzähligen Politik-, Wirtschafts- und Feuilletonseiten längst ausgetauscht; objektiv ist kein "Sieger" eruierbar. Die Diskussion ließe sich freilich ad infinitum weiterführen, wären nicht eben Fakten geschaffen worden. Den Wahrheitsbeweis für die eine oder die andere Seite muß und wird nun die konkrete weitere Entwicklung bringen; die diese steuern, werden dabei die Argumente der seriösen Euro-Kritiker im Hinterkopf haben und im besten Fall zu falsifizieren suchen. Für Panik besteht dabei ebensowenig Anlaß wie für Europhorie, der nicht wenige Medien hierzulande, darunter auch der ORF, erlegen sind.

Unbestreitbar ist freilich, daß die Schaffung einer Währungsunion eines der ganz großen Projekte in der Geschichte der EU - von ihren Anfängen als Kohle- und Stahlgemeinschaft 1951 über die Schaffung des Binnenmarktes und den Vertrag von Maastricht bis heute - darstellt. Und für das Gelingen dieses Unterfangens spricht vor allem schlicht die bisherige Entwicklung der Union: Sie hat sich langsam und unauffällig, aber sicher und stetig von einer recht losen Sechser-Gemeinschaft zu einer in vielem doch schon viel verbindlicheren Fünfzehner-Union gemausert. So gibt es zumindest begründete Hoffnung, daß auf dem Weg über eine gemeinsame Währung auch die politische Union Fortschritte machen werde.

Gewiß ist das freilich nicht, weil Geschichte eben ein offener Prozeß ist. Gerade diese Einsicht sollte uns aber auch davor bewahren, den jeweils letzten Status quo als End- und Zielpunkt bisheriger Entwicklngen anzusehen. Warum sollte ausgerechnet die europäische Landkarte, wie sie nach den Jahrhundertkatastrophen zweier Weltkriege mit Abermillionen von Toten gezeichnet wurde, von bleibender Gültigkeit sein? Wer auch nur kursorisch einen historischen Atlas durchblättert, erkennt, daß Reiche, Fürstentümer, Nationen prägend-geschichtsmächtige, aber eben auch vergängliche Größen sind. Das gilt nicht nur für deren Grenzen und territoriale Ausdehnung, sondern auch für diese und alle Formen des politischen Gemeinwesens an sich. Mithin muß auch der Nationalstaat moderner Prägung, wie er sich im 19. Jahrhundert herausgebildet hat, nicht für alle Zeit bestehen bleiben.

Er hat sich faktisch auch schon stark relativiert - zugunsten europäischer Strukturen, aber ansatzweise auch auf regionale Zusammenschlüsse hin. Nichtsdestotrotz bleibt er auf absehbare Zeit die dominante politische Kategorie - und soll es auch bleiben, da es derzeit keine europäische Superstruktur gibt, die seine Aufgaben übernehmen könnte. Wir werden deswegen auf ebenso absehbare Zeit auch nicht von "unserem Chartres" sprechen können, und dem eingangs zitierten Gedanken folgend bleibt ein wirklich vereintes Europa vorerst Utopie.

Trotzdem wird sich die Union weiterentwickeln - mit Rück- und Tiefschlägen wie bisher, und begleitet von politischem Kleingeldwechsel, vor dem auch nationale Politik nie gefeit ist und war. Es gibt keinen Grund, für Europa gar ein Ende der Geschichte zu postulieren. Vielmehr könnte eben eine neue, herausfordernde und spannende Epoche begonnen haben.

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