Taylor Swift, Konzert, Aufmacher - © APA/AFP/Jeff Pachoud

„Taylor Swift verkörpert Werte, die Terroristen ein Dorn im Auge sind“

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Am Mittwochabend wurden die mit Vorfreude erwarteten Wien-Konzerte des amerikanischen Weltstars wegen Terrordrohungen abgesagt. Dass gerade die Shows von Taylor Swift betroffen sind, ist traurige Ironie. Die Kulturwissenschaftlerin Christina Schuster liefert eine Einordnung.

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Am Mittwochabend wurden die mit Vorfreude erwarteten Wien-Konzerte des amerikanischen Weltstars wegen Terrordrohungen abgesagt. Dass gerade die Shows von Taylor Swift betroffen sind, ist traurige Ironie. Die Kulturwissenschaftlerin Christina Schuster liefert eine Einordnung.

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„Ich hab mich 1,5 Jahre auf Taylor Swift gefreut. Das macht mich grad so unfassbar traurig“, schreibt ein X-User. Er ist einer von rund 65.000 enttäuschten Fans, die dieser Tage eines von Swifts drei ausverkauften Konzerten in Wien besucht hätten. Der Veranstalter hatte sie nach der Festnahme von zwei Terrorverdächtigen, die offenbar einen Anschlag geplant hatten, am Mittwochabend abgesagt. Ein Schock für die Stadt Wien, aber vor allem für das Fandom der „Swifties“, deren weltoffene Werte die Antithese von Gewalt und Hass sind.

Die Kulturwissenschafterin und Amerikanistin Christina Schuster ist Expertin für Fan-Studies, mit einem Fokus auf Fans und ihre Art, ihre Bewunderung für einen Star zu leben. Sie betont den Gegensatz zwischen dem friedvollen Swiftie-Universum und den Terrordrohungen. „Dass nun genau bei einem Taylor-Swift-Konzert ein Anschlag geplant war, ist für viele Fans nicht nachvollziehbar. Warum sollte man Taylor-Swift-Fans angreifen?“, erklärt Schuster. „Eine Fangruppe ist natürlich nicht homogen, aber gerade die Swifties sind großteils Teens und junge Erwachsene, außerdem überwiegend Frauen oder Menschen aus der LGBTQIA+-Community. Es ist unverständlich, warum gerade diese aufgeschlossene, freundliche Gruppe mit Hass oder Gewalt konfrontiert sein sollte.“

Ist die Enttäuschung der Taylor Swift-Fans übertrieben?

Nicht jeder kann nachvollziehen, warum die Traurigkeit der Konzertbesucher in Wien so groß ist. Sollte der Fokus nicht darauf liegen, dass zwei junge Männer nach bisherigem Erkenntnisstand einen Terroranschlag geplant hatten? Die Polizei hatte am Mittwoch einen 19-Jährigen in Ternitz, Niederösterreich, und später einen 17-Jährigen in Wien festgenommen. Einer der beiden Männer habe vor Kurzem online seine Treue zum Islamischen Staat (IS) bekundet. Während einer Hausdurchsuchung seien chemische Substanzen sichergestellt worden. Bei einer Pressekonferenz am Donnerstag sagte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP): „Die Lage war ernst, die Lage ist ernst. Aber wir können auch feststellen: Eine Tragödie konnte verhindert werden.“ Laut dem Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, und Omar Haijawi-Pirchner, Leiter der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), habe der festgenommene 19-Jährige "ein umfassendes Geständnis abgelegt". Er habe "am heutigen Donnerstag oder morgigen Freitag einen Anschlag auf ein Taylor-Swift-Konzert in Wien verüben" wollen. Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ermittelt wegen Bildung einer kriminellen Organisation und terroristischen Vereinigung.

Taylor Swift, Autogramm - © Paolo Villanueava from New York, USA via Wikimedia Commons
© Paolo Villanueava from New York, USA via Wikimedia Commons

Laut Schuster sei den meisten Taylor Swift-Fans völlig klar, dass die Absage aufgrund der Terrorwarnungen notwendig und richtig war. Doch sie betont auch, dass diese Einsicht koexistieren dürfe mit der Frustration. „Es ist nachvollziehbar, dass gerade Teenager intensive Enttäuschung oder auch Freude verspüren. Auch Erwachsene sind nicht davon ausgeschlossen, solche Gefühle zu erleben“, sagt Schuster. Der Unterschied läge eben nicht nur in der Intensität des Gefühls, sondern auch darin, dass junge Generationen ihre Emotionen auf unterschiedlichen Kanälen kommunizieren, etwa in den sozialen Medien oder Fan-Foren. Außerdem spiele die mediale Wahrnehmung eine große Rolle: Welche Fandoms werden ernstgenommen, welche eher ins Lächerliche gezogen?

Es ist nachvollziehbar, dass gerade Teenager intensive Enttäuschung oder auch Freude verspüren. Auch Erwachsene sind davon nicht ausgeschlossen, solche Gefühle zu erleben.

Christina Schuster, Kulturwissenschaftlerin

Die große Enttäuschung der Taylor Swift-Fans hat mehrere Gründe. Die Eras-Tour läuft schon seit März 2023. „Fans hatten über ein Jahr Zeit, Vorfreude aufzubauen. Sie haben in den Sozialen und traditionellen Medien gesehen, wie toll die Show ist, wie viel berichtet wird“, erklärt Schuster. Taylor Swift und ihr Team haben die Fan-Vorfreude weiter angekurbelt: Viele Konzertbesucher teilten auf Social Media ihre durchdachten oder gar selbstgebastelten Outfits für den Tag der Tage. „Diese Kostüme der Swifties sind fast eine Form von Cosplay, wie wir sie bei Comic- oder Gaming-Fans oft sehen“, sagt Schuster.

Dem Idol so nahe sein, dass man fast ein Teil von ihm wird: Auch dieses Element spiegelt sich in unzähligen Fandoms, von den Fußballdressen der SK Sturm Graz-Fans bis hin zu den elaborierten Verkleidungen der Fans von Marvel-Superheldenfilmen. „Fandom hat bis zu einem gewissen Grad auch etwas mit Idealisierung zu tun“, sagt Schuster. „Abgesehen von Kommentaren auf Social Media oder bei Meet-and-Greets interagieren die Fans üblicherweise nicht direkt mit Taylor Swift, sondern mit einer Vorstellung dieser Person, aber gerade dadurch baut sich eine Faszination auf, oft über Jahre oder Jahrzehnte. Menschen entwickeln eine Leidenschaft oder Beziehung zu dieser Figur. Gerade Musik, die starke Emotionen vermittelt, ist ein ideales Vehikel, um eine intensive Bindung aufzubauen. In ihre persönlichen Songtexte können Fans sich gut hineinversetzen, sich mit dem narrativen Ich identifizieren.“

Elvis Presley, Fußballfans, Comic-Convention: Fandoms gab es schon immer

Das Internet – schon in den 90ern gab es Online-Fan-Seiten, etwa für die beliebte TV-Serie „Friends“ oder die britische Girl-Band „Spice Girls“ – und erst recht die sozialen Medien haben neue und noch intensivere Formen von Fankultur ermöglicht. Doch die Bindung zwischen Stars und ihren Bewunderern ist alles andere als neu. Elvis Presley tat es in den 50ern, die Beatles in den 60ern, David Bowie in den 80ern: Augen zum Leuchten bringen, Freudentränen auslösen, Kreisch-Konzerte provozieren. In manchen Fällen führte die Ekstase bis zur Bewusstlosigkeit. Ebenso geschrien, geweint und mitgefühlt wird übrigens auch in Sportstadien oder auf Comic-Conventions.

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Elvis Presley, Fans, Autogramm, 1956 - 1956: Elvis Presley gibt Autogramme. - © Powell F. Krueger, Wikimedia Commons
© Powell F. Krueger, Wikimedia Commons
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David Bowie, Tod, Fans, Trauer, 2016 - 2016: Fans trauern um David Bowie, der am 10. Jänner 2016 verstarb. - © Dirk Ingo Franke, Wikimedia Commons
© Dirk Ingo Franke, Wikimedia Commons
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SK Sturm Graz, Fans, Fußball, Fußballfans - 2016: Fans feuren den SK Sturm Graz an. - © Werner100359, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons
© Werner100359, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons
  1. 1956: Elvis Presley gibt Autogramme.
  2. 2016: Fans trauern um David Bowie, der am 10. Jänner 2016 verstarb.
  3. 2016: Fans feuren den SK Sturm Graz an.

Schuster sieht einseitige Darstellungen von Fandom - wie kreischende Frauen bei Beatles-Konzerten - kritisch, würden sie doch das komplexe und vielfältige Phänomen des Fan-Seins auf ein Geschlecht reduzieren und als etwas Negatives darstellen. Eine Einordnung bietet die Drehbuchautorin Yve Blake in einem Ted Talk:

Die Stars sind Profiteure dieser intensiven Verbindung, und heizen diese bewusst an. „Taylor Swift hat selbst zu jeder Tourstation Fotos und Videos gepostet, und erzählt, wie magisch das Konzert war. Deshalb war die Erwartungshaltung riesig. Für den Vorverkauf der Tickets mussten Fans sich registrieren, es war unklar, ob man Tickets bekommt“, sagt Schuster. Zehntausende wären im Ernst Happel Stadion erwartet worden, viele davon sind – teils sogar aus Amerika – angereist.

„Der Gegensatz zwischen friedvollem Pop und Terror“

Während die Fans auf eine Reaktion von Taylor Swift warten, spenden sie sich online gegenseitig Trost. Gerade weil das Fandom rund um die amerikanische Sängerin für Zusammenhalt steht, ist die mögliche Terrorbedrohung so schockierend.

„Es geht um diesen Gegensatz zwischen einer sehr harmlosen Fangruppe, die Musik hört, die oft als seichter Teenie-Pop abgetan wird, und den Ideologien von Gewalt und Terror“, sagt die Kulturwissenschaftlerin Schuster. „Bei den Taylor Swift-Konzerten wäre eine Gruppe an Menschen zusammengetroffen, die Werte vertreten, die Terroristen ein Dorn im Auge sind.“

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Public Viewing - Fans Euro EM - © Foto: APA / Eva Manhart
© Foto: APA / Eva Manhart

Fans Euro EM

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