Sich von den Eltern lösen
Im Umgang mit den eigenen Müttern und Vätern verfallen viele in ihr Dasein als Kind zurück. Wie dennoch eine gute Verbindung gelingen kann, thematisieren die Therapeuten Sandra Teml und Martin Wall in einem neuen Buch.
Im Umgang mit den eigenen Müttern und Vätern verfallen viele in ihr Dasein als Kind zurück. Wie dennoch eine gute Verbindung gelingen kann, thematisieren die Therapeuten Sandra Teml und Martin Wall in einem neuen Buch.
Menschen wie Paul kennt vermutlich jeder. Mitte 50, beruflich sehr erfolgreich, glücklich verheiratet, drei prächtige Kinder, Haus, Garten, Hund. Man könnte meinen, Paul hat sein Leben im Griff. Aber nach jedem Besuch bei seinen Eltern fühlt er sich schlecht und schuldig. Die Vorwürfe sind immer die gleichen. Es sei falsch gewesen, den Familienbetrieb nicht zu übernehmen. Was habe er sich nur dabei gedacht, seine Eltern allein zu lassen und in eine andere Stadt zu ziehen. Was ihn immer öfter zur Frage führt: Müssen Kinder ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie die Erwartungen der Eltern enttäuschen, um ihren eigenen Interessen und Lebensvorstellungen gerecht zu werden?
Beziehungen zwischen Eltern und Kindern sind nicht immer einfach. Oftmals sind sie auf beiden Seiten von falschen Erwartungen geprägt. Manche Kinder haben das Gefühl, dass ihre Eltern auch als Erwachsene noch einen großen Einfluss auf ihr Leben haben. Sei es materiell, weil sie immer noch finanziell von den Eltern unterstützt werden. Oder moralisch, weil die Eltern bestimmte Dinge von ihnen erwarten: Aufmerksamkeit, einen bestimmten beruflichen Erfolg oder weil sie sich in die Partnerwahl einmischen.
Das Therapeuten- und Autorenpaar Sandra Teml und Martin Wall arbeitet seit vielen Jahren intensiv zu diesem Thema. Mit ihrem aktuellen Buch „Ent-Eltert euch! Wie wir die emotionale Abhängigkeit von unseren Eltern überwinden und endlich uns selbst leben“ erzählen sie aus ihrer Beratungspraxis und wollen Menschen dabei helfen, die im Erwachsenenleben hinderlichen Bewältigungsstrategien aus der Kindheit hinter sich zu lassen. „Ent-Elterung“ wollen die beiden aber keinesfalls als Elternbashing verstanden wissen. Es gehe auch nicht darum, den Kontakt zu den Eltern abzubrechen. Vielmehr sei „Ent-Elterung“ als Einladung zu verstehen, die eigenen Eltern aus ihrer Elternrolle zu entlassen und herauszufinden, wer man selbst ist und sich den eigenen Eltern als diese Person zu zeigen. Diese emotionale Abnabelung ist ein aktiver Prozess und gehört zu den schwierigsten Aufgaben im Leben. Das Ende der Kindheit ist dann erreicht, wenn man die vollkommene Verantwortung für sich übernommen hat. Und: Erwachsen sein bedeutet auch, alte Bahnen zu verlassen und neue Wege zu gehen. Erst wenn unangemessene Abhängigkeits- und Schuldgefühle aufgelöst werden, sind glücklichere Beziehungen und ein eigenständiges Leben möglich.
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