Lotte Tobisch im Interview: "Ich konnte Teddie stundenlang zuhören"
Lotte Tobisch und Theodor W. Adorno waren einander sieben Jahre lang in einer "anachronistischen Jugendfreundschaft" zugetan. Was hat die Wiener Schauspielerin und den um 23 Jahre älteren Frankfurter Starphilosophen miteinander verbunden?
Lotte Tobisch und Theodor W. Adorno waren einander sieben Jahre lang in einer "anachronistischen Jugendfreundschaft" zugetan. Was hat die Wiener Schauspielerin und den um 23 Jahre älteren Frankfurter Starphilosophen miteinander verbunden?
Es war 1962, als die damals 36-jährige Burgschauspielerin Lotte Tobisch-Labotýn dem 59-Jährigen Philosophen, Soziologen und Musiktheoretiker Theodor W. Adorno erstmals begegnete. Bis zu dessen Tod 1969 schrieben sie einander rund 290 Briefe, Ansichtskarten und Telegramme, die später in Buchform erschienen sind. Im FURCHE-Gespräch erzählt Lotte Tobisch von dieser besonderen Freundschaft über die Generationen, Temperamente und Geschlechter hinweg - sowie vom Unterschied zwischen Eros und Sexus.
DIE FURCHE: Frau Tobisch, Ihre Freundschaft mit Theodor W. Adorno war außergewöhnlich, wie auch Ihr 2003 publizierter Briefwechsel zeigt. Was verband Sie mit Adorno?
Lotte Tobisch: Unsere Beziehung war tatsächlich merkwürdig. Adorno nannte sie eine anachronistische Jugendfreundschaft. Wir haben uns von Anfang an gern gehabt, vom ersten Moment war etwas da. Adorno und ich lernten einander beim ehemaligen Burgtheaterdirektor Josef Gielen kennen. Als die Tür aufging und dieser nicht besonders attraktive Mann mit Bäuchlein und riesigen braunen Augen dastand, verzweifelt, weil seine Frau Gretel gestürzt war, da mochte ich ihn sofort. Er bat uns um Hilfe, denn ohne Gretel war er verloren. Ich nahm mich dann in meiner pragmatischen Art der Sache an, fuhr zu Gretel ins Hotel, brachte sie zum Arzt, und zum Glück handelte es sich um keine ernsthafte Verletzung. Adorno war dankbar und begeistert darüber, dass ein Mensch so tüchtig sein kann. So bezeichnete er es jedenfalls. Dann haben wir einander geschrieben und spätestens, als wir zusammen in Wien die Oper besuchten, war die Freundschaft besiegelt. Ich betone aber, dass unsere Beziehung immer platonisch blieb.
DIE FURCHE: Worüber haben Sie gesprochen?
Tobisch: Die "Fäden", die Adorno in einem seiner Briefe erwähnt, waren von besonderer Art, gesponnen durch meinen 1960 verstorbenen Freund Erhard Buschbeck, der 37 Jahre älter war als ich. Buschbeck (langjähriger Chefdramaturg des Burgtheaters, Anm.) war von 1909 bis 1913 Leiter des Akademischen Verbandes für Literatur und Musik gewesen. Durch ihn wusste ich viel aus diesen Jahren, für die sich Adorno so besonders interessierte, vor allem musikalisch. Teddie selbst war in dieser Zeit ein Kind gewesen, ich war noch nicht geboren. Ich konnte ihm dennoch vieles erzählen, wenn auch aus zweiter Hand, da ich von Buschbeck einiges wusste. Auch ich konnte Teddie stundenlang zuhören, seinen wunderbaren Monologen, und durfte ihm essentielle Fragen stellen. Bei unseren Spaziergängen von Sils-Maria ins Fextal habe ich allerlei erfahren, was ich nicht immer ganz verstanden habe, aber doch große Teile, und das hat mir in meinem Leben einiges eröffnet und mich weitergebracht. Manchmal bezeichnete er mich als seine kleine Schwester in Wien. Der bedeutende jüdische Gelehrte Gershom Scholem sagte einmal über mich: "Die Tobisch kann stundenlang zuhören, dann fragt sie gescheit, und lachen kann man auch mit ihr." Für mich war Adorno nicht nur einer der bedeutendsten Denker des vergangenen Jahrhunderts, er kam mir auch wie ein Kind vor. Er selbst hat mir einmal geschrieben, dass er vielleicht deshalb so empfindsam ist, weil man ihm als Kind das Weinen verboten hat.
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