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Wie kann Jugendlichen der verantwortungsvolle Umgang mit Sexualität und HIV näher gebracht werden? Für Dennis Beck und Irene Kernthaler-Moser geht es vor allem ums "Darüber reden."

Die Furche: Die Zahl Neuinfizierter (an HIV oder anderen Geschlechtskrankheiten) steigt EU-weit wieder an. Was läuft da schief?

Irene Kernthaler-Moser: Ich glaube nicht, dass da was schief gelaufen ist. Es gibt regelmäßig eine nachwachsende Generation, und da gibt es immer die selben Fragestellungen: Den Umgang mit Sexualität und Lust.

Dennis Beck: Ich sehe das durchaus ähnlich und möchte es noch erweitern. Dieses Thema ist nur im kleinen Bereich ein Wissensthema. Laut eine Umfrage ist das Wissen über HIV/Aids sehr groß. Doch bei der Umsetzung schaut es ganz anders aus. Es ist ein Problem, das nicht nur über die Wissensebene lösbar ist. Das Schöne an Sexualität ist ja gerade, dass man den Kopf heraus lassen kann. Jetzt kommen wir Präventionsmenschen und sagen: Schaltet den Kopf wieder ein! Es muss so selbstverständlich werden, ein Kondom zu benützen, wie wenn man die Zahnpasta auf die Bürste gibt, dann stört es am wenigsten.

Die Furche: Familienministerin Andrea Kdolsky beklagt vor allem die "wachsende Sorglosigkeit" Jugendlicher gegenüber HIV. Was halten Sie von ihrer Initiative, notfalls auch selber an Schulen Kondome zu verteilen?

Beck: Wir als Aids-Hilfe halten das für eine sehr gute Initiative. Wir haben in Kürze einen Termin bei der Ministerin, wo über die Umsetzung gesprochen wird. Es hat leider in den letzten Jahren keine bundesweite Aids-Kampagne gegeben. Wir arbeiten schon seit Jahren in Schulen. Das Verteilen von Kondomen ist in eine Kommunikation über das Thema eingebettet, das sich nicht im Thema Aids erschöpft, sondern es geht um Liebe, Partnerschaft und Sexualität.

Kernthaler-Moser: Nachdem ich eine Sexualmoderations-Ausbildung an Schulen gemacht habe, muss ich sagen, es reicht nicht, es gehört breit diskutiert. Ich wünsche Frau Kdolsky viel Glück, wenn sie sich in eine Wiener Hauptschule hinstellt, in der 70 Prozent Nichtchristen sind. Was soll ein muslimisches Mädchen machen, dem man ein Kondom in die Hand drückt? Es kann nur verzweifelt sein. Daher schlage ich ein Modell wie "Love Talk" vor: Eltern, Kinder und Lehrer erarbeiten gemeinsam ein Projekt für die jeweilige Altersstufe. Sie arbeiten solange daran, bis sie ein Konzept maßgeschneidert für diese Klasse gefunden haben. Es muss immer darum gehen, wie lebe ich meine Freude an Sexualität, an Liebe und Zärtlichkeit.

Beck: Ich habe die Ministerin nicht so verstanden, dass man nun nur Kondome verteilt, sondern, dass man ein zusätzliches Signal setzt, das in bestehende Aktivitäten eingebunden wird. Es geht ja nicht darum, die Österreicher ein ganzes Jahr mit Kondomen zu versorgen, sondern um etwas ins Bewusstsein zu rufen, und da ist das Kondom ein Symbol dafür.

Die Furche: Was sagen Sie zum Einwand, dass bei der Sexualerziehung Treue und Enthaltsamkeit vernachlässigt werden?

Beck: Wir als Aids-Hilfe halten das für ein genauso gutes Konzept, um HIV zu verhindern, wie eben "Safer Sex" zu machen. Wir werden das sicher nicht werten. Aber naturgemäß sind unsere Zielgruppen eher jene, die nicht nach diesem Konzept leben.

Kernthaler-Moser: Es gibt verschiedene Menschen. Es gibt unterschiedliche Temperamente und Ausprobierphasen im Leben. Ich selbst bin jetzt seit fünf Jahren glücklich verheiratet. Unser Bedürfnis, auch nur jemanden anderen anzuschauen, geht gegen Null. Aber das ist halt anders, wenn man 16 Jahre alt ist. Gerade bei Kindern und Jugendlichen geht es ums Ausprobieren: Wo ist meine Position, wo bin ich als Mensch mit meinen Bedürfnissen und das in meinem familiären Kontext. Auf diese Komplexität möchte ich aufmerksam machen. Mir ist auch wichtig, dass man nicht blauäugig an die Sache heran geht und sagt: Wir machen jetzt etwas mit Kondomen und der Rest funktioniert schon. Da fällt man garantiert auf die Nase.

Beck: Es gibt kein Konzept, das alle Probleme löst, weder das Konzept "Nur Kondome", noch "Wir sind uns alle treu" wird die Realität völlig erfassen. Ich halte es auch für wichtig - und das machen wir in unseren Workshops auch - dass man Jugendlichen schon vermittelt, dass sie selbst entscheiden können, wie weit sie sind; und dass sie auch "Nein" sagen können. Das ist sowohl bei Mädchen als auch bei Burschen wichtig. Und gerade die jungen Männer sind unter großem Druck durch ihre Gruppe.

Die Furche: Liest man zum Thema Verhütung, steht die Pille im Vordergrund, das Kondom gilt als unsicherer. In puncto Aids-Prävention steht das Kondom im Zentrum. Welches Verhütungsmittel würden Sie beispielsweise einem jungen Mädchen, das einen ersten Freund hat, raten?

Beck: Wir raten zum Kondom, weil man bei richtiger Anwendung beides abdecken kann, Geschlechtskrankheiten und Schwangerschaft. Das Kondom ist zu 99 Prozent sicher, wenn man ein Markenkondom verwendet, es richtig und immer anwendet.

Kernthaler-Moser: Wenn das meine Tochter ist, würde ich sagen: das Mädchen nimmt die Pille, und er ein Kondom. Das ist dann auch eine faire Aufteilung der Verantwortung. Es gibt aber für mich verschiedene Perspektiven. Sexualerziehung beginnt nicht mit 14, sondern mit Null. Ich gehe davon aus, dass wir von Anfang an sexuelle Wesen sind. Wir leben in einer so seltsam sexualisierten Welt. Es ist alles möglich, aber der für mich gefundene Umgang mit meinen Bedürfnissen, das richtige Timing für mich mit dem Partner, der mir sympathisch ist, das fehlt. Wenn man den Wunsch eines kleinen Kindes, das von seiner Tante nicht geküsst werden will, nicht respektiert, dann überschreitet man die Grenze und verhindert, dass das Mädchen mit 14 oder 18 Jahren sagen kann: Nein, das will ich nicht!

Beck: Es ist ganz wichtig, die spielerische, altersmäßige Sexualität unter den Kindern zuzulassen und nicht zusagen: Das macht man nicht; weil man sonst etwas, das ganz Natürlich entsteht, zu etwas Schlechtem macht.

Kernthaler-Moser: Je mehr ich es tabuisiere, umso mehr bringe ich die Jugendlichen in Situationen, wo sie es nicht mehr verbalisieren können. Es gilt hier: "Over newsed but under-informed". Das ist in diesem Fall besonders stark. Ich habe zudem noch niemanden getroffen, der prinzipiell nichts von Treue hält.

Beck: Bei diesem Thema geht es ja vor allem um eines: Reden wir darüber. Das hört ja nicht im Jugendalter auf. Gerade, wenn wir darüber reden, warum gehen die Neuinfektionen nicht so stark zurück. Das ist ja nicht so sehr ein Problem der Jugendlichen, sondern aller älteren sexuell-aktiven Menschen, die sich kaum mehr mit "Safer Sex" beschäftigen. Hier ist besonders eine Kondom-Müdigkeit eingetreten.

Die Furche: Ist eine Ursache für diese "Müdigkeit" nicht auch darin zu suchen, dass Fernsehen und Medien zwar viel an sexuellen Aktivitäten zeigen, aber die Themen Verhütung und Aids großteils ausklammern?

Beck: Natürlich; genauso wie es wünschenswert wäre, dass nicht in jeder Szene eine Zigarette auftaucht, wäre es wünschenswert, dass in einer schönen romantischen Liebesszene ein Kondom eingebaut wird …

Kernthaler-Moser: … und das Reden darüber. Es gibt auch kaum Frauenrollen, die für mich ein spannendes Rollenbild darstellen. Es gibt so viele Klischees, und die Medien verlängern diese anstatt sie aufzubrechen. Jeder meint, er müsse so fortschrittlich sein. Da möchte ich auch eine Lanze für die Eltern brechen. Es ist legitim, schockiert zu sein, wenn man als Eltern erfährt, dass sein Kind das erste Mal mit jemanden geschlafen hat. Das Thema Sexualität ist ja so emotional aufgeladen, als Erfüllung schlechthin.

Beck: Gerade dann, wenn das Thema Sexualität altersgemäß zugelassen und nicht tabuisiert wird, dann tut man sich auch leichter, wenn es dann passiert.

Das Gespräch moderierte Regine Bogensberger.

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