"Kinder sind so lukrativ wie Waffen und Drogen"

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Über eine Million Kinder werden jedes Jahr gehandelt: als Sexobjekte, als Klau- und Bettelkinder, zum Autowaschen, als Hausdiener, Jockeys, oder sie werden zur Adoption verkauft.

Die Menschenhändler sind unterwegs", warnte kurz nach der Tsunami-Flut das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, unicef. Dieses Geschäft mit der Not war schon vor der Flutwelle in Südostasien weit verbreitet, und die Befürchtung in der unicef-Zentrale in Genf deswegen groß, "dass die existierenden Syndikate nun das Chaos, das hier herrscht, ausnutzen werden".

Dreieinhalb Wochen später will unicef-Sprecher Mark Zergara das Wort Entwarnung nicht in den Mund nehmen, gleichzeitig kann er aber glücklicherweise nur "sehr wenige Fälle" von Kindesentführungen im Gefolge der Flutwelle bestätigen (siehe Interview). Durch das große Medieninteresse seien Regierungen, Polizei und Hilfsorganisationen in der Region gegenüber dieser Gefahr sensibilisiert worden, sagt Zergara, konnten rechtzeitig Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden.

Zusammenhalt in Familien

Einen anderer Grund dafür, dass es im Gefolge der Flutkatastrophe zu keinem außergewöhnlichen Anstieg an Kindehandel gekommen ist, nennt Jack Price von der Internationalen Organisation für Migration in Bangkok: "Nicht alle vom Tsunami betroffenen Menschen sind hilflos. Die Überlebenden kümmern sich besonders intensiv um die Schwächsten in ihrer Gemeinschaft." Ein Kinderschutzverband in Sri Lanka hat bei einer Untersuchung in 364 Lagern am Indischen Ozean nur 38 Kinder gefunden, die keinerlei Familie mehr hatten und ganz auf sich allein gestellt waren. Dieselben Auffanglager beherbergten 3202 Kinder, von denen nur ein Elternteil überlebte. Weitere 836 Kinder verloren zwar beide Eltern, werden aber von den Großeltern, Onkeln, Tanten, älteren Geschwistern oder anderen Familienmitgliedern versorgt.

Elisabeth Cerny, die Hilfsprojekte für Caritas-Österreich auf den Andamanen-Inseln koordiniert, berichtet von ähnlichen Erlebnissen: "Die Familien halten zusammen und auf den Andamanen kommt noch eine starke Verbundenheit innerhalb der jeweiligen Ethnie dazu." In Sing-, Tanz- und Spielgruppen werde den Kinder geholfen, ihre Schockerlebnisse aufzuarbeiten, erzählt Cerny. Dabei hat sie die Beobachtung gemacht, dass kleinere Kinder die Katastrophe oft leichter wegstecken als Jugendliche. Sie hat auch Kinder gesehen, die ihre Eltern trösten. Doch Verallgemeinerungen seien nicht zulässig, sagt Elisabeth Cerny: "Es gibt Menschen in jeder Altersstufe, die der Tsunami völlig traumatisiert zurückgelassen hat."

Mit dem Medieninteresse an der Tsunami-Flutkatastrophe ist das ansonsten deutlich unterbelichtete Übel Kinderhandel in ein grelles Scheinwerferlicht getaucht: Über eine Million Kinder werden laut Berechnungen des Kinderhilfswerks terre des hommes jedes Jahr verkauft und versklavt. Das Geschäft mit Kindern sei so lukrativ wie der Handel mit Waffen und Drogen. "Es bringt hohe Renditen bei äußerst geringen Investitionen", sagt Boris Scharlowski von terre des hommes in Osnabrück. Südostasien ist ein Zentrum des Kinderhandels. Die Hafenstadt Medan und die Insel Batam nahe der von der Flut am stärksten betroffenen Region Aceh sind als Umschlagplatz für Kinder aus Indonesien berüchtigt. "Doch auch in Ost- und Südosteuropa sind Mädchen und Buben Opfer von Kinderhandel wie in Afrika, Asien, Nord- und Südamerika", sagt Scharlowski. "Auf einem Markt in Rumänien liegt der Preis für ein Kind zwischen 45 und 175 Euro. Im Empfängerland beträgt der Preis das Zehnfache." Und was müssen diese Kinder bei ihren "Herren" tun? Scharlowski: "Sie betteln oder waschen Autos in Griechenland und Spanien. Sie werden gezwungen, in Deutschland Diebstähle zu begehen und werden in ganz Europa als Sexualobjekte ausgenutzt."

Neben dem Sexgeschäft und dem Einsatz als Klau-Kinder würden die Kinderhändler auch den Markt für illegale Adoptionen und für Hausangestellte beliefern. In arabischen Ländern sind Kinder als Reitjockeys begehrt und im internationalen Transfergerangel um Fußball-Wunderkinder versucht die fifa den ausufernden Kinderhandel mit Schutzbestimmungen zu unterbinden.

Trotz erster Erfolgsmeldungen ist die Gefahr des Kinderhandels auch in den von der Flut betroffenen Ländern nicht gebannt: Jo Becker von Human-Rights-Watch meldete vergangenen Samstag, dass die Tamilen-Rebellen in Sri-Lanka auf eine lange Tradition der Rekrutierung von Kindersoldaten zurückschauen - nun seien die Tiger umso mehr an den Kindern interessiert, da bis zu 2000 Rebellen in der Flut ums Leben gekommen sind und sie ihre Truppen neu aufstocken müssen. Jo Becker: "Die Kinder sind in Gefahr, noch immer, schon wieder."

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