Es hat sich ausgetobt

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Der Katastrophe müssen Glasnost & Perestrojka auf dem Fuß folgen. Dieses Gesetz gilt auch fürs Innenministerium.

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Der Katastrophe müssen Glasnost & Perestrojka auf dem Fuß folgen. Dieses Gesetz gilt auch fürs Innenministerium.

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Karl Schlögl hat es also überstanden: die von den Grünen beantragte Sondersitzung des Nationalrats am Montag dieser Woche, die Fragenkataloge von Grünen und Liberalen, den Mißtrauensantrag der Liberalen, den grün-liberalen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses.

Der Innenminister hat die wohl schwersten Stunden seiner Politkarriere überstanden, koalitionär und freiheitlich gestützt. Der Bundeskanzler höchstpersönlich bekundete absolutes Vertrauen zu seinem Minister, indem er neben Schlögl auf der Regierungsbank Platz nahm. Wir lernen daraus: Neben jemandem sitzen kann auch heißen hinter jemandem stehen.

Aber vielleicht sollte man sich der Causa ganz anders annähern. Etwa so: "Zwei Toiletten und zwei Duschen für 40 Personen; in Räumen, die höchstens zwölf Quadratmeter messen, leben zusammengepfercht jeweils bis zu sieben Flüchtlinge. Die drei Schlafsofas, auf denen sie sich drängen, würden im Sperrmüll weniger auffallen als hier. Die Tapeten, im dezenten Design der Siebziger, hängen zum Teil in Fetzen von der Wand. Der Teppichboden stammt aus derselben Zeit, und damals scheint er zum letzten Mal gründlich gereinigt worden zu sein." So beginnt ein Bericht im "Standard" (Montag, 10. Mai 1999) unter dem Titel "Drei Sofas für sieben Flüchtlinge": ein Lokalaugenschein eines Reporters in einer Flüchtlingsunterkunft im Burgenland.

Was das mit Marcus Omofuma zu tun hat? Unmittelbar natürlich nichts. Omofuma war ein Schubhäftling, der im Zuge seiner am 1. Mai erfolgten Abschiebung ums Leben kam; bei den Flüchtlingen in der geschilderten burgenländischen Pension handelt es sich nicht um "Schüblinge" ((c) Innenministerium der Republik Österreich), und sie sind auch alle am Leben. Grundsätzlich aber hat es natürlich sehr viel mit dem Fall Marcus O., der ein Fall Schlögl geworden ist, zu tun. Denn es geht um das gesellschaftliche Klima, die politisch-öffentliche Atmosphäre als Rahmenbedingungen jedweder Art von Politik.

Ist es nicht umgekehrt? Schafft sich nicht Politik ihr Umfeld, prägt Öffentlichkeit? Gewiß auch. Doch ebensosehr gilt, daß ein bestimmtes politisches Handeln erst aus einem bestimmten öffentlichen, medial vermittelten Kontext entsteht. Wer Politik verstehen will, muß sich zunächst einmal mit diesem Kontext auseinandersetzen.

Man wird dabei in der heutigen Zeit - das Stichwort wurde eben genannt: medial vermittelt - an den Medien ganz allgemein, für österreichische Verhältnisse und den konkreten Anlaßfall im speziellen an jener Zeitung nicht vorbeikönnen, die von knapp der Hälfte der Bevölkerung gelesen, oder besser: konsumiert wird. Zwischen "So tobte der Schubhäftling" (Aufmacher der "Kronen Zeitung" vom Mittwoch, 5. Mai; "Schübling" wäre für die Schlagzeile zu kurz gewesen) und "Große Mehrheit für Schlögl!" (Donnerstag, 6. Mai) liegt das weite Land der österreichischen Seelenhälfte, das Cato, Staberl und Wolf Martin mit den ihnen jeweils zur Verfügung stehenden stilistischen Mitteln beackern. Neben der Rückendeckung der "Kronen Zeitung" für Schlögl verblaßt jene des Kanzlers als bloß freundlich-symbolische Geste.

Dieser Kontext läßt sich aber auch durch Berichte wie den eingangs zitierten besser veranschaulichen beziehungsweise begreifen, als dies noch so genaue Studien, scharfsichtige Analysen, gar politische Erklärungen vermöchten.

Er läßt sich in fünf Worte fassen, die just die Negation dessen sind, was Caritas-Präsident Franz Küberl als Leitmotiv für eine künftige Asylpolitik, die ihre Konsequenzen aus dem Fall Omofuma gezogen haben würde, gefordert hat: Im Zweifel gegen den Flüchtling.

Hier, beim Atmosphärischen, wäre einmal anzusetzen, wäre Aufklärungsarbeit zu leisten, die klares Licht ins diffuse Halbdunkel von Ängsten und Ressentiments bringt. Und im Innenministerium selbst, das nicht länger gleichsam als die staatliche Funktion der Gefühlslage weiter Kreise der Bevölkerung erscheinen darf, müßte einiges in Bewegung kommen. Daneben erscheint die - mittlerweile wohl ohnedies obsolete - Frage "Muß Schlögl gehen?" nebensächlich. Schlögl muß das tun, was sein Nachfolger auch tun müßte: zunächst dafür Sorge tragen, daß der Fall Omofuma ein tragischer Einzelfall bleibt; ganz generell dafür, daß sein Ministerium das Odium der Bürokratenfalle wegbekommt.

Das Innenministerium kann nicht SOS-Mitmensch oder die Caritas sein, gewiß. Aber an Glasnost & Perestrojka führt kein Weg vorbei. Tragisch genug, daß diese immer erst eine Chance haben, wenn die Katastrophe schon eingetreten ist.

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