Claudia von Werlhof, Politikwissenschafterin an der Universität Innsbruck, über das "Zootier" Frau.
Die Furche: Wie beurteilen Sie den Salzburger Abtreibungs-Streit?
Claudia von Werlhof: Diese Debatte ist so oft geführt worden, dass man dem nur schwer etwas hinzufügen kann. Es ist im Grunde ein Armutszeugnis, wenn die Gesellschaft meint, die Frauen zwingen zu müssen, Kinder zu bekommen. Selbstverständlich müssen Frauen darüber bestimmen können, ob und wann sie Kinder bekommen. Die Frage ist heute vielmehr, warum sie keine Kinder bekommen wollen. Die Frauen befinden sich heute im Gebärstreik - und zeigen damit ihre Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen. Sie haben kein Vertrauen in diese Gesellschaft, sie fühlen sich bevormundet und gefangen - wie Zootiere; deshalb wollen sie sich wie diese auch nicht fortpflanzen. Darüber hinaus verfallen alle Institutionen, die bisher für eine Pseudo-Sicherheit gesorgt haben: die Familie zerfällt, die Beziehungen zerfallen. Immer mehr Frauen sind alleinerziehend. Außerdem gibt es für viele Frauen außerhalb der Familie keine vernünftige Arbeit. Es heißt, man brauche ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen - und natürlich ökonomische Sicherheit. Doch das ist immer weniger gegeben.
Die Furche: Die Fristenlösung hat Abtreibung nicht erlaubt, sondern nur straffrei gestellt. Denn auf der anderen Seite der Waagschale steht der Schutz des beginnenden menschlichen Lebens ...
Werlhof: Aber der Schutz des Lebens ist ja schon bei den Frauen nicht gegeben! Die Frauen fühlen ihr Leben nicht geschützt und wollen deshalb auch kein neues Leben in die Welt setzen. Man tut so, als wären die Frauen alle abgesichert und nur zu zickig, um Kinder zu bekommen. Doch man muss real sehen, dass es Frauen nicht gut geht in dieser Gesellschaft.
Die Furche: In welcher Rolle sehen Sie hier die Männer?
Werlhof: Genau diese Diskussion findet nicht statt. Viele Frauen treiben ja ab, weil die Männer die Kinder nicht wollen oder weil sie die Männer nicht verlieren wollen. Im Grunde zeigt sich hier, welch großes Elend in den Beziehungen der Geschlechter existiert. Deshalb kommt man mit einer oberflächlichen Diskussion für oder gegen Abtreibungen nicht auf das Grundproblem.
Die Gespräche führte Doris Helmberger
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